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Brief (Transkript)

Karl Nünnighoff an seine Eltern am 9.7.1942 (3.2008.1388)

 

Rußland, den 9.7.42


Nr. 77

Liebe Eltern, Willi und Lene!

Heute kann ich Euch die Ankunft Eures lieben Briefes vom 22.6. bestätigen. Außerdem erhielt ich noch drei Bündel illustrierte Zeitungen und einen Brief von Kamphausen und einen von Hermann Becker über alles habe ich mich riesig gefreut und sage Euch meinen herzlichsten Dank. Zu Beginn möchte ich Euch gleich mitteilen, daß ich mit diesem Brief eine Zigarrenkiste und eine kleinere Dose mit Bohnenkaffee abschicke und ein Päckchen mit einem vollen Film und dem Tee, den Ihr mir vor kurzem schicktet, wovon ich auch schon schrieb. Also drei Päckchen zusammen. Seid doch bitte so gut, und schickt mir die Bildchen wenn sie gut geworden sind, was ich hoffe und wünsche, hier an die Front, dann habe ich noch eine Bitte, wenn das Bildchen vom Grab meines Freundes gut geworden ist, laßt es doch bitte auf Postkartengröße vergrößern und schickt es mit dem Negativ hier her ja? Dann noch was, ich sehe, daß bis zum 22.6. die letzten 100 RM noch nicht angekommen waren, na bis jetzt soll es wohl dort sein was? Ist auch bestimmt das Geld bei Trittin auch angekommen? Ich hatte es nämlich mit den 100 RM zusammen abgeschickt. Gestern hat es wieder Löhnung gegeben und da habe ich gleich wieder 100 RM abgeschickt. Guten Empfang. Gutsherr bin ich noch, aber nur vom leeren Kuh-, Hühner und Schweinestall. In den letzten Tagen haben wir alles geschlachten, dann soll es auch wohl bald wieder zum Einsatz gehen, denn mitschleppen können wir das Viehzeug nicht gut. Die anderen beiden Batterien unserer Abtlg. und der Stab sind gestern schon wieder gefahren. Ich sollte zuerst auch mit, und zwar wieder beim Stab. In der vorvorigen Nacht gegen 12.00 kam der O. [?] v.D. auf unser Schlafzimmer mit den Worten „Nünninghoff, aufstehen, fertigmachen, Sachen packen, Sie fahren mit dem Stab nach vorn.“ Ich schlief schon lange da könnt Ihr Euch vorstellen, wie mir diese Nachricht auf den Magen schlug. Na, ich bin aufgestanden und habe meine Klamotten zusammen gesucht und verpackt. Als ich damit fertig war, habe ich alles in einen Postsack gesteckt, der wurde voll bis oben hin, außer dem Karabiner, dann habe ich mich beim Stab gemeldet. Dort sagte man mir dann und den drei Mann, die von unserer Batterie noch dazu kamen, wir sollten draußen warten, unsere Wagen wären noch nicht vom Benzin holen aus Stalino zurück. Als ich hörte „Unsere Wagen“ dachte ich, ich hätte nicht recht verstanden. Um 8.00 Uhr in der Frühe war Abmarsch und die Wagen sollten los, nur wir saßen noch da. Da unsere Fahrzeuge nun zur Nachschubstaffel gehörten, sollte unser Start erst um 14.00 Uhr sein. Nun bis dahin waren die Fahrzeuge dann auch da. Fabrikneue Ford V8 L.K.W. Ich war als Beifahrer eingeteilt, das war schon mal ein Trost. Gegen 12.00 Uhr kamen dann auf einmal Leute vom Stab wieder, die vom Fahrzeug-Abholkommando aus Krakau wiederkamen, da waren wir überflüssig und konnten wieder zur Batterie. Nun fahre ich mit der Batterie zum Einsatz, ein gewisser Zeitpunkt ist noch nicht festgesetzt. Macht Euch nun nicht wieder mehr Sorgen als vorher, es soll schon schief gehen. Bevor wir losfahren, schreibe ich noch mal. So, nun noch schnell zu Euren Zeilen. Der halbe Brief war mal wieder eine Gruselgeschichte. Das Wort „endlich“ am Anfang Eures Briefes habe ich sehr bedauert, sehe ich doch, daß Ihr wiedermal lange Zeit auf Post von mir habt warten müssen. Ihr schreibt, daß es oft sehr still bei Euch wäre, wie im tiefsten Frieden. Genau so ist es hier auch oft gewesen. Wenn wir Sonntagsnachmittags bei herrlichem Sonnenschein auf den Bänken vor unserer Unterkunft saßen und schrieben Briefe an die Lieben daheim oder lasen illustrierte Zeitungen und auf einmal hörte man von weitem das ballern der Flack und das An und Abschwellende brummen der russischen „Rattas“ die dann im Sturzflug irgend etwas mit ihren Bordwaffen beknallten. Wir kannten dann natürlich, so wie wir es gewohnt sind nichts anderes als ein spöttisches Lachen. Von den ständigen Luftangriffen auf Westdeutschland und dem Ruhrgebiet, besonders auf Köln, hören wir hier auch die gruslichsten Geschichten. Ihr schreibt, Ihr wolltet nicht alles an die Front schreiben, das ist auch richtig denn dadurch geraten wir nur in Aufregung und machen uns Sorgen und das schwächt nur unseren Mut und unsere Schlagkraft. Schon als ich laß, daß ein Brittenbomber bei Zöbel im Garten und die Besatzung auf der Straße gelandet war, schlug mir diese Nachricht schwer auf den Magen. Na, die Hauptsache ist, wenn Ihr immer noch heil davon kommt. Geht nur immer bei Alarm gleich in den Keller, das hilft schon viel. Weiter schreibt Ihr, daß Ihr froh seid, daß meine Zähne noch in Ordnung sind und doch ist mein erster Weg, wenn ich nach Hause komme zum Zahnarzt. Hier draußen laße ich mich nicht gern daran herum fummeln. Dann sehe ich daß Willi mir den Film durch […] Mengede [?] hat schicken lassen, das ist sehr nett von ihm, ich danke ihm recht herzlich. Daß Ihr fast jeden Tag einige Zeilen an mich schreibt, habe ich schon gemerkt, ich würde das auch gern, aber es gelingt mir nicht immer. Aber trotzdem schreibe ich so oft ich kann. Ihr braucht nun nicht zu denken, weil ich nun keine Kuh mehr habe, keine Milch mehr trinken und kein Pudding mehr kochen kann. Hier kommen jeden Tag genug Weiber mit Milch, die etwas Brot oder sonst irgendwas dafür haben wollen, also deshalb braucht Ihr das Puddingschicken nicht ein zustellen, schickt mir ruhig noch mal was. Wenn Ihr mal so Wackelpeter rote Grütze oder wie das heißt habt, könnt Ihr mir auch mal schicken. Daß Ihr das Brotbrett im Keller und auch das Schwadenrohr im Ofen erneuert habt ist ja fein, na das sehe ich auch bei weitem lieber, wenn ich mal komme, daß alles noch heil bzw. sogar was erneuert ist, als daß die Britten Euch was kaputt geschmissen haben. Doch nun muß ich so langsam Schluß machen, denn Neues wüßte ich nicht mehr zu berichten. Darum seid für heute alle recht herzlich gegrüßt in der Hoffnung, daß es Euch noch gut geht, was ich auch von mir sagen kann
von Eurem Sohn Karl.

Wenn ich noch mal Kaffee für Euch schicken kann, schicke ich ihn sofort ab.

 

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