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Brief (Transkript)

Karl Nünnighoff an seine Eltern am 26.3.1942 (3.2008.1388)

 

Rußland, den 26.3.42.


Nr. 52

Liebe Eltern, Willi und Lene!

Gestern hatte ich wieder einen Freudentag, neben dem Brief von der Holzstraße erhielt ich von Euch einen Brief vom 1.3., vier Karten vom 1.3., 2.3., 4.3. und 5.3., außerdem drei Umschläge mit Pudding, Nr. 9, 10 und 6 und fünf Umschläge mit Zucker Nr. 6, 7, 8, 9, 10. Für alles sage ich Euch meinen herzlichsten Dank. Ich habe schon oft Pudding gekocht, meistens koche ich mir Puddingsuppe, dann habe ich mehr davon, gleich beim ersten Mal hat es tadellos geklappt und so lecker geschmeckt, wie zu Hause. Ich schrieb Euch ja schon, daß die im Milchpreis so unverschämt teuer sind. Nun bewohnt ein Obergefreiter, nebenbei gesagt, ein guter Freund von mir ein Quartier, indem auch ein 18 jähriges Mädel wohnt, die gute Beziehungen hat, zu den Kadetten, die Milch verkaufen. Zu der bin ich dann hingegangen und habe sie gebeten, mir einmal 1 Ltr. Milch mit zu bringen, sie bekommt nämlich schon für 8 Zigaretten 1 Ltr. Milch, die ich ihr dann auch gab und sie hatte tatsächlich Milch mitgebracht. Die Brüder sind nämlich schon so schlau und rafiniert und tragen die Milch in Flaschen unter dem Mantel, weil sie genau wissen, wenn ein Landser kommt, der nimmt sie ihnen ab, drückt ihnen drei Rubel in die Hand ohne ein Wort dabei zu verlieren und haut wieder ab. Mir liegt sowas nicht. Die Russen kennen sich ja alle ziemlich untereinander, und jeder weiß, wer die Milch verkauft. Wenn ich nun wieder Pudding kochen will, gebe ich dem Mädel wieder 8 Zigaretten und sie bringt mir dann die Milch mit. Zigaretten habe ich ja immer, da ich ja selber nicht rauche. Vorgestern habe ich in einem Paket Onkel Karl 100 Stück geschickt, der wird sich freuen. Dazu habe ich Hedi noch ein paar Stiefelchen geschickt, für den kl. Klaus, die ich hier in Makejewka bei einem Schuhmacher habe anfertigen lassen, Ihr könnt sie Euch ja einmal zeigen lassen, wenn sie gut angekommen sind. Bei dem Schuster habe ich mir ein Paar Hausschuhe machen lassen, als ich sie abholen wollte, war er gerade an solchen Stiefelchen beschäftigt und gleich kam mir der Gedanke, das wäre was für die Alligen [?]. Ich hatte erst vor, für mich solche Stiefel machen zu lassen, aber ich hatte nicht Material genug, denn das muß man mitbringen. Die Handwerker haben selber nichts mehr. So habe ich mich dann entschlossen, für den kl. Klaus so welche machen zu lassen und sie sind wirklich schön und auch haltbar, mit richtigen Ledersohlen, die verschleißt er so schnell nicht. Sie sind für 2 -3 jährige Kinder, Nr. 22 -23. Wenn sie ihm noch nicht passen, kann Hedi sie ja noch eine Zeit aufheben. Zugleich ist es ein schönes Andenken an Rußland, obwohl ich später nicht gerne an Rußland erinnert sein möchte. Ich habe ja auch schon mal etwas schönes erlebt in diesem verkommenen Land und zwar vor einigen Tagen, da war ich wieder mal im Varietee, dort war ein ukrainisches Konzert. Mitwirkende waren, eine Kapelle und ein gemischter Chor von wirklich reizenden Mädels und ein paar Männer. Sie sangen Volkslieder, deren Text wir allerdings nicht verstanden, aber vor jedem Lied wurde uns von einem Mädel, die sehr schön deutsch sprach, der man aber trotzdem ansah, daß sie sich sehr anstrengen mußte und richtig zu sprechen, erklärt, um was es sich bei dem Lied handelte. Dann waren u.a. auch Mädels unter ihnen, die dann mit Klavierbegleitung Stücke aus deutschen Operetten in deutscher Sprache, Solo sangen. So z.B. „ Die Fledermaus“, ein Stück aus der Oper oder Operette „Faust“, das „Glühwürmchen" und andere Stücke aus Paul Lingkes Operetten. Zum Schluß sang dann der Chor das Lied von der Laterne vor dem großen Tor auch in deutscher Sprache. Alle Mädels waren sehr schön gekleidet mit ihrer Tracht, bunte Schürzen und vielen bunten Bändern, es war wirklich wunderschön mit anzusehen, wir haben uns alle sehr gefreut und nach jedem Lied kräftig Ablaus gegeben. Wenn eine Solosängerin mal besonders schön gesungen hatte, haben wir auch mit den Füßen getrampelt, das der Saal dröhnte. Doch nun zu Euch und Euren lieben Zeilen. Wie ich sehe, habt Ihr in einer Woche 10 Briefe von mir erhalten, wahrscheinlich alle die ich in Ilowaiskaja [?] geschrieben habe. Na das ist ja fein, daß alle angekommen sind. Daß H. a. d. Bruch die Kälte so furchtbar mitgenommen hat und ebenfalls Mombair [?], tut mir wirklich leid, ich kann Gott danken, daß ich davon verschont geblieben bin. In diesem Falle war es ja eigentlich mein Glück, daß vor Ilowaiskaja der Wagen kaputt ging und ich so ein Quartier beziehen konnte, gerade da war hier die größte Kälte. Jetzt ist bald alles vorbei, jeden Tag Tauwetter, nur nachts friert es noch manchmal. Das G. S’honst auch wieder im Lazarett liegen soll mit der Kniegeschichte, ist mir noch nicht bekannt, na hoffentlich bekomme ich bald wieder Post von ihm. Auch Fritz Nilgens ist so schwer krank wie ich sehe, mit mir hat es bis heute immer noch gut geganen und wollen auch hoffen, daß es weiterhin so bleibt. Dank Eurer guten Fürsorge, daß Ihr mir gegen Erkältung, Husten usw. alles geschickt habt, was zu schicken ging, das werde ich Euch nie vergessen, so kann ich mich immer selber helfen. Wie ich sehe, habt Ihr ein Bildchen schon von mir erhalten, na wenn Euch dieser Brief erreicht, wird das andere und das gemalte Bild auch dort sein, das schreibt Ihr ja dann. Ihr meint, ich sähe auf diesem Bildchen etwas wehmütig aus. Das ist aber anders. An dem Tag, als ich mich fotografieren ließ, war es lausig kalt und in der Stube des Fotografen war tüchtig geheizt und ausgerechnet mußte ich mich neben den Ofen setzen, da bekam ich gleich einen „Ballon“ wie ein Wasserkessel und so ist das Bild auch geworden. Daß Willi am 100jährigen Bestehen der Sparkasse meinen schw. Anzug angezogen hat, war ganz richtig, so sah er sicher aus wie „ein Mann von Welt“ was? oder ein Gentlemänn. Ha Ha wer lacht da? Ich glaube, wenn ich einmal nach Hause komme, kenne ich meinen „kleinen Bruder“ nicht mehr wieder. Daß Ihr bei der vielen Arbeit, die Euch täglich erwartet keine freie Stunde mehr habt, kann ich mir denken, ich wünsche nur, daß Ihr alle gesund dabei bleibt. Nur gut, daß Ihr nicht so leben müßt wie die Russen und Ukrainer, wenn ich Euch das alles später mal erzähle, Ihr glaubt es nicht. Jetzt werden schon Berichte für die Ukrainische Bevölkerung aus Deutschland durchs Radio gesendet, wie es den Jungen und Mädels, Männer und Frauen in Deutschland gefällt, die zum Arbeiten ins Reich gefahren sind. Hier aus Makejewka sind allein bis heute schon 2000 Mädels als Telephonistinnen, Kindergärtnerinnen und was weiß ich ins Reich gefahren, um dort zu arbeiten und zu sehn, wie schön wir es in Deutschland haben, gegenüber ihrem „Paradies“ ganz zu schweigen von den Jungens und Männern. Makejewka hat eine Friedensbesatzung von 250 000 Einwohnern. Soviel sind es aber heute lang nicht mehr. Ich weiß nicht wieviel Bolschewiken, die früher der G.P.U. angehörten, hier schon von der ukrainischen Polizei seit der Besatzung dieser Stadt durch deutsche Truppen erschossen wurden, das geht in die Tausende. Das wird planmäßig in jeder Stadt durchgeführt. Die ukrainische Polizei ist „schwer auf Draht“, die kennen diese Lumpen ja alle. Eines Tages kommt dann so einer mit einer Flinte auf den Ast und holt die Kerle aus dem Haus und dann geht’s zur Ortskomandantur auf nimmer wiedersehen.
Ihr schreibt, daß die Brötchen die gebacken werden fast rot sind, ich wundere mich, daß überhaupt noch Brötchen gebacken werden und trotzdem glaube ich, daß Euer Weizenmehl besser ist als das, was sich die Russen hier selber mahlen und Ihr Chlepp das heißt Brot davon backen. Dann fragt Ihr wie es mit meinen Augen ist. Also schlechter geworden ist es noch nicht, aber auf dem rechten Augen sehe ich noch schlechter als auf dem Linken. Wenn ich das Linke zu mache, sehe ich auf weite Entfernungen mit dem Rechten alles etwas verschwommen. Einen Wagen will ich hier in Rußland nicht mehr fahren, das habe ich Euch ja schon geschrieben. Wenn ich es einrichten kann, gehe ich bei meinem Kölner Kameraden, der mit mir ausgebildet und nach Bulgarien gefahren ist, als Beifahrer.
Die Verpflegung die wir im Augenblick bekommen ist nicht schlecht, aber zu wenig. Aber nur keine Bange, ich soll schon satt werden. Daß Frau Schlepper dem Willi 2 Schnitten Brot geschickt hat, ist doch auch zwecklos, Brot kann man sich schon an einer anderen Feldküche schnorren, wenn man sich reichlich hungrig anstellt, kriegt man schon was, die Erfahrung habe ich schon oft gemacht. Was aufs Brot gehört, fehlt uns, anderes nichts. So, ich glaube jetzt habe ich genug geschrieben für heute. Mir geht es gesundheitlich noch gut was ich auch von Euch Allen hoffe. Seid nun für heute recht herzlich gegrüßt von Eurem Sohn Karl.
Gute Nacht und auf Wiedersehen!

 

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