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Brief (Transkript)

Karl Nünnighoff an seine Eltern am 2.2.1942 (3.2008.1388)

 

Rußland, den 2.2.42.



Liebe Eltern, Willi und Lene!

Heute werde ich nicht die Post beantworten, die mir unser Rechungsführer brachte, da vielleicht die Möglichkeit besteht, daß er Heute oder Morgen kommt um mir meine Löhnung zu bringen und dann vielleicht die ältere Post, die in Stalino liegt mitbringt. Ich werdeEuch heute vielmehr ein Erlebniß erzählen, das mir gestern passierte. Gestern bin ich zum Schreiben nicht mehr gekommen, da ich wieder früh großen „Damenbesuch“ hatte. Die schwadronieren und schwatzen und fragen soviel, daß es einem unmöglich ist, einen anständigen Brief zu stande zu bringen. Unter den Mädels, die mich hier fast jeden Tag besuchen, ist eine ganz besonders nette, die mich dann bat, einmal mit Ihr nach Hause zu gehen, sie hätte einen Gramophon und sehr nette Schallplatten, da ich doch Musik sehr liebte, möchte ich ihr den Gefallen doch einmal tun. Das Schönste ist, die kann etwas deutsch. Nun, ich bin dann mit noch einem Ukrainer Jungen dort hin gezogen. Wir haben dann dort eine Weile gesessen und uns diese Gramophonmusik angehört, die soweit ganz schön war, obwohl es alle russische Platten waren. Dort war dann auch ein Soldat im Quartier, der die sich hier in dieser Stadt befindliche Mühle zu verwalten hat. Der ist nun schon seit Oktober hier. Um die Gelegenheit auszunutzen, fragte ich den dann, ob er nicht wüßte, daß hier irgendwo eine Familie ein Klavier hätte. Auf russisch heißt das Dingen „Pianino“, was er mir dann zu meinem größten Erstaunen bejahte. Dazu war das noch eine Volksdeutsche Familie. Na, ich hatte natürlich nichts eiligeres zu tun als dorthin zu gehen, es waren noch etwa 200 m zu laufen. Als ich dann dort eintrat, sah ich gleich an der Sauberkeit, das es keine russische Familie sein konnte und erspähte dann auch gleich in der Stube die sogenannte „Bierorgel“. Ein fabelhaft gepflegtes Klavier, die Töne waren alle ganz, ebenfalls die Tasten, was ja die Hauptsache war. Wie habe ich mich gefreut, nach fast einem Jahr, endlich wieder einmal so ein Instrument vor mir stehn zu sehn. Na, ich habe dann gespielt, was das Zeug hält, deutsche Lieder und auch die der Ukrainer, die ich so im Laufe des vergangenen Monats mir schon angeeignet hatte. Die Volksdeutsche Frau, noch ein ganz „junges Ding“ wunderte sich, woher ich die russischen Lieder kannte. Meine Musik hat ihr so gut gefallen, daß sie mich bat, Heute wieder zu kommen, was ich auch tun werde, wer weiß, wann ich wieder einmal Klavier spielen kann. Ich habe dann auch das schöne Lied von der Wolga gespielt, was die Frau auch kannte und kräftig mitsang. Als es zu dämmern anfing habe ich dann aufgehört und zum Schluß das Lied von der Laterne gespielt, auch dieses kannte sie und sang dann mit. Auch das Horst-Wessel-Lied habe ich angestimmt und dann mit Mumm, daß die Heide wackelte und habe im Stillen so gedacht, vielleicht flattern auch hier bald die Hitler-Fahnen über alle Straßen. Wie dankbar kann ich Euch sein, daß Ihr mir dieses Instrument spielen habt lernen lassen, das werde ich nie […]. Doch heute möchte ich wieder schließen in der Hoffnung, daß es Euch allen noch recht gut geht und ich bald die andere Post erhalte. Seid nun alle von ganzem Herzen gegrüßt von Eurem Sohn Karl. Ich bin noch gesund und munter.

 

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