Brief (Transkript)
Ernst Emmerich an seine Eltern am 02.04.1915 (3.2011.3530)
2. April. Immer noch Horodnica
Wenn man nämlich Zeit hat, schreibt man viel, daher schon wieder einmal ein Brief. Zu Eurem Troste also: gestern Hühnchen mit Hütes, auch nach dem üblichen Eierfrühstück. Heute scheint nun auch die Sonne wieder, nachdem der 1. April scheußliches Wetter gebracht hatte, und ich liege neben meinem Erdloch u. schreibe, während über mir ein – hoffentlich deutscher – Flieger umhersummt. Einen Russen habe ich während meines ganzen Aufenthaltes hier noch nicht gesehen. - Heute oder morgen soll unser längst angemeldeter Ersatz kommen, dann hört das gemütliche Leben der alten Karpathenkämpfer auf – es ist nämlich, bemerkte gestern ein Feldwebelleutnant „beinahe wie im Kriegerverein“. -
Gestern war nun bekanntlich Gründonnerstag; als wir (wir waren durch Zufall nur § Mann statt sonst 9) aufwachten, überraschte uns unsere ruthenische Wirtin, deren Mann in Kanada weilt (Canadian Pacific Ausfuhr von Wehrpflichtigen aus Östreich in russisch-englischem Solde? mir kam jener Riesenscandal gleich wieder ins Gedächtnis.) überraschte uns mit je einem Osterkuchen u. je 2 Ostereiern, bunter u. hübscher bemalt als jemals unsere. Dazu noch in den typischen Schmuckformen der Ruthenen, die man in Wandbemalung u. Handstickereien sowie Pelzbesatz wiederfindet. Es sind wohl noch die Grundformen, gerade Linie, Zickzack, Punkt; aber sehr hübsch. - Da es an Eiern zum essen ja bekanntlich nicht fehlt, will ich versuchen, sie heim zu schicken. Obs glückt? - Jedenfalls war das doch rührend von der Frau, der wir das ganze Stroh ruinieren, und den ganzen Tag in ihrer Stube hocken. Die Ruthenen sollen aber deutschfeindlich sein, wurde uns gesagt, und neben dieser Freundlichkeit der einfachen Leute lauert der Verrat im Nebenhause. Anhaben können sie uns hier allerdings nicht viel, da der Dnjestr denn doch kein Bach zum drüberspringen ist. - Sollte übrigens dies oder spätere Post sehr spät anlangen, dann liegts an einer Postsperre wegen Truppenverschiebungen, von denen man sich erzählt. - In der Tat! wir bekommen keine Post u. unsre wird wohl auch liegen bleiben; also hats nicht viel Zweck zu schreiben.
Gruß Ernst.
Ansicht des Briefes
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