Brief (Transkript)
Ernst Emmerich an seine Eltern am 14.10.1914 (3.2011.3530)
Tarlow 14.10.14
Also ein solches Drecknest habe ich denn doch in Rußland noch nicht gesehen. Und dieser Ort des Elends von allen Schrecknissen des Krieges verwüstet. Ein Viertel des Ortes rauchende Trümmer. Das übrige halbe Dorf (Stadt ists allerdings) verlassen; was noch an Einwohnern da ist halb verhungert, zerlumpt u. verschüchtert. Es ist entsetzlich! - Und da fällt nun eine Truppe nach der anderen ein, nimmt alles eßbare weg, verbrennt Zäune und Häuser, verbraucht das Stroh und verläßt die Stätte noch elender als sie schon war. Durch den Schmutz kommen die Pferde kaum durch; alles Wasser muß erst gekocht werden, ehe mans genießen kann. Man wundert sich beinahe, daß noch alles so kerngesund ist in diesem entsetzlichen Dreck. -
Das ist nun endlich dicht hinter der Front, und wir hören fortwährend die österreichischen Geschütze donnern. Tarlow liegt zwischen Kamenna und Weichsel. Jenseits der Weichsel sollen die Russen sein. - Wir aber werden wohl noch ein paar Tage weiter wandern müssen, ehe wir das Regiment finden, obgleich uns schon das Brot ausgeht. Hier gewesen sind 32. mal, aber jetzt sollen sie schon wieder 40 Klm weiter nördlich sein. Da werden wir sie wohl erst von Iwangorod finden. - In die Irre gegangen sind wir sehr; wir hätten sie in 2-3 Tagen haben können. Na, schließlich werden sie doch wohl zu kriegen sein. - Von der allgemeinen Kriegslage haben wir keine blasse Ahnung. Man munkelt von einer Beschießung Warschaus, von einer Kriegserklärung Italiens an Frankreich u. dergl. mehr. Es ist aber alles zu vague, um dran zu glauben. Ehe ichs nicht gedruckt mit V. T. B. sehe, glaube ich nichts. Ihr seht, daß Nachrichten sehnsüchtig erwartet werden. Schreibt nur an […]so w. E.
Ansicht des Briefes
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