Brief (Transkript)
Ernst Emmerich an einen Freund am 29.11.1914 (3.2011.3530)
An Freund Pfauch. 29.11. Im Schützengraben. -
Eigentlich wäre ja mit dieser Überschrift schon alles gesagt, aber Ihr Laien habt (trotz Bildern u. Zeitungsartikeln, die wir nämlich auch lesen) doch keine rechte Vorstellung von dieser sonderbaren Art Vergnügen. Nämlich „im Winter draußen“ will in Thüringen Skiern was anderes bedeuten als hier in einem engen Erdloch, den ganzen Tag teils in Hock, teils in Liegestellung; da hat schon mancher den Nachbar gefragt, ob seine Füße noch dran wären. Feuer machen giebts nicht, da sonst 10 Minuten später ne Granate drin säße; 5 Meter vorm Graben sieht man noch die aufgerissenen Löcher der russischen „schweren“. - Heute donnerts links von uns, kann aber jederzeit übergreifen, wobei denn mein Brief etwas plötzlich unterbrochen werden könnte. So lange kann ich ja aber noch ein wenig plaudern, weil mirs in den letzten 2 Tagen, die wir in Reserve lagen, ein wenig redseliger geworden ist; vor allem weil ein paar Studentenkäppchen von zu Hause mit ihrem Würzgeschmack wirkliche Gefühlsregungen in mir auslösten. - Die Situation muss ich Dir schildern. Also Emmerich im wilden Vollbart, ungekämmtem Haar, seit 74 Tagen nicht gewaschen, kaum erholt von 10tägiger Hungerperiode, in einer kleinen dreckigen Bauernstube unter 22 Mann auf einem Rübenhaufen hinter dem zerfallenden Ofen mit verzücktem Blick 10 Studentenkäppchen verzehrend, die Heimat mit der Seele suchend. Das ist nun schon der zweite Brief, den die paar kleinen Dingerchen mir entlockt haben. - Allerdings würde man sich hier ziemlich langweilen, wollte man nicht mal zum Stift greifen, denn zum Schlafen ists selbst bei Tage fast zu kalt und und zum bewegen kein Platz. Wir haben die geheime Hoffnung, daß wir bald abgelöst werden, und Andere sich in die kalten Löcher setzen. Noch mehr aber, das bald Niemand mehr drin zu sitzen braucht.
Hoffen! hoffen! Das ist auch alles. -
Tsingtaus rühmliches Ende hat bei Jedem einen neuen Zorn erweckt. Jetzt erst ist es jedem Deutschen so recht ans Herz gewachsen, weil edelstes deutsches Blut dort floß. Jetzt weiß ein Jeder: wir müssen es wieder haben. Da giebts denn kein Wort von Frieden mehr. Da wird alles wieder verbissen wie in den ersten Wochen des Krieges; da werden die Leute, denen die 4 Monate Krieg am Mark gezehrt haben, wieder frisch und wollen vorwärts. Und man wird selbst so. Sonderbar eigentlich bei einer so weibischen Natur wie die meine. Nichts als Gefühlsduseleien, seis mit Musik, seis mit Versen. Das alles ist mit einem Schlage weg und wird durch unerhörte Anstrengungen ersetzt, ohne daß ich nur auch etwas dabei finde. Ich bin neugierig, ob eine Rückverwandlung im Falle meiner Heimkehr ebenso rasch vor sich gehen wird. -
Ansicht des Briefes
Briefe aus diesem Konvolut: