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Brief (Transkript)

Ernst Emmerich an seine Eltern am 10.12.1914 (3.2011.3530)

 

10.12. Während der Entscheidungsschlacht in Russisch-Polen. -


Nun dürft Ihr Euch aber sone Schlacht nicht so vorstellen, als ob man die ganzen Wochen Tag und Nacht im Kugelregen stände. Vielmehr rücken wir mit manchmal reichlich viel Sorglosigkeit, Abends in die Quartiere. Vorgestern haben wir sogar noch beim Platzen der Granaten angefangen, Hütes u. Gänsebraten zu machen, die dann Abends in köstlicher Fülle das damals seit 3 Tagen fehlende Brot ersetzten. Ich hätts ja nicht geglaubt, aber es ist doch brillant gelungen. Heute habe ich schon wieder eine halbe Gans im Kochgeschirr. Dafür hatten wir auch gestern nicht einen Bissen irgendwelcher Art zu essen; da habe ich mir dann mit den Hygiamatabletten geholfen, von denen noch eine Schachtel willkommen ist. - Post? Brief und Zeitungen vom 22. erhalten. - Octoberpost fehlt noch immer. Die großen Packete „sollen“ in der Nähe sein. Kleine Packetchen sind selten, aber dann u. wann giebts mal eins. Euer Rum war ausgezeichnet und hat in kleinen Schlückchen genossen hervorragende Wirkung, besonders auf die kalten Füße. Letztere kommen aber nur vom langen Stillliegen auf nassen Aeckern, nicht etwa von hohen Kältegraden. Bei Euch scheints kälter zu sein. Das Wetter ist bisher unberufen ausnehmend günstig. Tags über oft Sonne. Der neulich gefallene Schnee hat nur einen Tag gehalten. Manchmal ists wie Frühling. Ein paar Stunden Regen wie neulich mal machen allerdings alles sofort grundlos, was bei den allgemein kaput gehenden Stiefeln wenig angenehm ist. Na, im ganzen ist zur Zeit die Sache zu ertragen. Große Märsche giebts nicht, nur „Peng“ wird empfangen d. h. Gefecht.
Abends gehts dann in irgend eine enge Bauernstube mit einem kleinen jämmerlichen Oefchen, auf dem dann 20 Infanteristen 10 Kavalleristen u. ein paar Artilleristen „kochen“! wollen. Da gehts dann los, da sterben die „Kochgeschirraspiranten“ (Hühner) und die „Speckkanone schlachtet ihren „Feldküchenaspiranten“ (fettes Schwein oder Kalb. - Vor allem aber giebts Kartoffeln über Kartoffeln, da es mit dem Brot trotz aller Mahnungen des Generals nicht so recht klappen will. Da versucht man denn mit viel Kunst Abwechslung ins Menu zu bringen. Pellkartoffeln, Salzkartoffeln (ohne Salz, das es hier nicht mehr giebt), Kartoffelbrei, Bratkartoffeln (Extragenuß) Puffert (was ganz besonderes) und als Letztes, Höchstes – Hütes.
Gesund ist das viele Kartoffelessen ja nicht, aber was bleibt einem übrig? Wenns nicht solche Ausnahmetage, wie Hütes u. Gänsebraten, gäbe, wärs allerdings triste. - Der ganze Brief ist nun ein ungewolltes Dokument dafür geworden, was aus einem gebildeten Menschen wird – ein Freßtierchen! Das ist alles. Essen ist das einzige Interesse. - die Entscheidungsschlacht! geht fast nebenbei, wenn wir auf unsrer Flügelstellung auch schon manchmal in recht üble Lagen gekommen sind; es bleibt eben ein dumme Sache für Infanteristen bei einer Kavallerie-Division; die 5. übrigens. - Außer bei unserem Bataillon soll die Post bei der Division sehr gut funktionieren. Die anderen Truppen haben alle ihre großen Packete, während unsere Leute nun seit September auf neue Wäsche warten. Ich bin noch ganz gut versehen, einmal Fußlappen schaden aber nicht. Uebrigens noch schwieriger als Post erhalten ist Post befördern, u. die Karte von heute, die während des An- u. Vorbeifahrens eines Autos geschrieben ist, bedeutet einen großen Glückszufall. Dieser Brief wird wohl auch heute nicht mehr fortgehen, aber immer hat man auch nicht Zeit, das Abgangsdatum noch drauf zu schreiben. Meist geht die Post 2-3 Tage später ab als datiert. - Jetzt will ich erst mal n Gänsebein frühstücken; vielleicht erlaubt Ihr Euch auf dies mein „Not leiden“ auch mal was „Extraes“, das Ihr Euch immer nicht gönnen wollt. Ernst.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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