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Brief (Transkript)

Wolfgang Panzer an seine Eltern und Geschwister am 29.03.1918 (3.2012.2822)

 

Karfreitag, den 29.III. 1918.


371. [...]

Meine Lieben!
Endlich wieder mal Zeit zum Schreiben und Gelegenheit Post abschicken zu können. Heute vor einer Woche hat die große Sache schon angefangen und ich habe schon eindrucksvolle und arbeitsreiche Tage hinter mir. Ich freue mich unendlich, daß ich den letzten großen Vormarsch nun doch mitmachen darf, wenns auch nicht gerade in der Front ist. Man hat auch dahinter mehr zu tun, als ich sonst gedacht hatte. - Leider bekommen wir keinerlei Zeitungen, sodaß wir nur über die Vorgänge unmittelbar vor uns einigermaßen unterrichtet sind. Aber bei uns geht die Sache frisch und fröhlich vorwärts und die Stimmung ist immer oben auf, der Hunger immer groß, wenns zum Essen geht, das zum Glück bis jetzt ohne Stockung nachgekommen ist.
Ihr wißt ja, daß ich zuerst bei Cambrai lag. Am ersten Vormarschtag rückte ich mit meiner Kompagnie über Bourlon[?] nach Moenaes[?], beides aus der Cambraischlacht bekannte Orte, die ich früher einmal auf meiner Karte angestrichen hatte und die jetzt mit einem mal große Bedeutung für mich gewonnen haben. In dem furchtbar zerstörten Dorf fand sich ein großer Stollen für die ganze Kompagnie, in dem wir 3 Nächte hausten. Nachts war\'s schrecklich kalt, da man nicht heizen konnte, aber das herrliche Sonnenwetter am Tag versöhnte vollständig. Mein Reitpferd u. die 6 Zugpferde hatte ich in einem zerschossenen Haus untergestellt, das noch so eine Art Dach hatte, durch das man den Himmel wie durch ein großmaschiges Sieb anschaute, Ich war Vor- und Nachmittags u. auch oft Nachts auf der Straße, da der Verkehr oft sehr groß[?] war und viele Stockungen vorkamen durch zerbrochene Räder oder zusammenfallende Pferde, durch Wagen, die in Granattrichter fielen oder Kolonnen, die auf der linken Straßenseite vorfuhren u. mit entgegenkommenden zusammenprallten. Man muß viel schreien, Pferden in die Zügel fassen, um da die heillose Wirrnis wieder zu lösen. Aber es ist bisher immer gegangen, wenn man auch oft mal bis auf die Haut durchnäßt war, so warm hatte man sich trotz der kalten Mondnacht gelaufen und geschrieen. Also ganz verächtlich ist der Straßenpolizeiposten nicht, wenn auch viele zur Front marschierende Truppen unsern weißen Armbinden „Schutzmann! Schutzmann!“ nachrufen. Unsere nächste Unterkunft war ein großes englisches Barackenlager, indem wir allerlei Beute machten. So fanden wir ein Fäßchen herrlichsten Fischtran, mit dem sämtliches Lederzeug der 4. Kmp. geschmiert u. geschmeidig gemacht wurde, dann eine 10 l Tonne herrlichsten Glyzerin\'s, in Deutschland überhaupt nicht mehr erhältlich, das wir für unsere Feldküche wunderbar brauchen können, nicht zum Zubereiten der Speisen, sondern für die Maschinerie. (Der Kupferkessel ruht seinerseits in einem Kessel mit „Kochbadflüssigkeit“, die von rechts wegen Glyzerin sein soll.) Ein Stück herrlichste Fettseife wurde von Nix erbeutet, eine Büchse corned beef, ein Schreibblock u.s.w. - In Beau[…], wo mehrere große 18 cm oder 21 cm Geschütze erbeutet wurden (ich habe sie […]), fand ich eine feine engl. Artilleriekarte und ein Dictionarry (engl. - engl.), das mir recht gute Dienste leistet. - Die Feldküche geht immer mit uns, ein erbeuteter Sack Kartoffeln, die ich bei einer Rast auf dem vorgestrigen Marsch durch die Kompagnie schälen ließ, machte unser sonst schon immer gutes Essen zu einem Göttermahl! - Ein einziger „Unfall“ ereignete sich während unseres Vormarsches, der mich ganz per-
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sönlich betrifft, indem das eine russische[?] Zugpferd vor unserem Panjewagen sich an meinem Rucksack vergriff, in dem es die Eiserne Portion witterte und die ganze eine Seite aufriß! Vorläufig ist der Schaden durch Sicherheitsnadeln behoben. - Der Rucksack hing an dem vor den Pferdchen stehenden Lebensmittelwagen. Als hungriges Panjepferdchen hätte ich wohl auch so gehandelt. - Aber ein erbeutetes englisches Grammophon, das meine Leute gleich aufstellten u. herrliche Melodien zu dem Feldküchenessen (mitten auf der Dorfstraße!) spielen ließen, versöhnte sofort. Vorgestern, als wir das Gebiet der Sommeschlacht durchfuhren, fiel einer meiner Wagen in einen Granattrichter und mußte ganz abgeladen werden, ehe wir ihn wieder aufrichten konnten. Zerreißende Zugketten, abbrechende Vorderbracken[?] u.s.w. sind ziemlich alltägliche Zwischenfälle, die weiter keinen Eindruck hinterlassen, da sie von uns erfahrenen Feldsoldaten schnell behoben werden können.
- Mein Kompagniestab vergrößert sich immer mehr. Ich schrieb Euch ja, daß ich außer meiner 4. Kmp., 3.
zu der auch ein Offizier gehört, noch die Hälfte der 3. Kmp. mit einem Offizier unbestellt bekam, dann die ganze l. Minen-Werfer-Abteilung meines Batl., ebenfalls mit einem Offizier, dann 1 Segeanten[?] u. 8 Radfahrer als Befehlsempfänger u. -überbringer u. endlich 1 Offiz. Stellv. mit 10 Reitern von den 6. Klanen[?] (Hanauer!). Auch berittene Feldgendarmerie stand schon unter mir, ist aber inzwischen wieder abgerückt. Ihr könnt Euch denken, daß ich mich als Befehlshaber einer so großen Truppenmacht ganz außerordentlich fühle u. sehr eingebildet geworden bin. Ich reite nur noch in gelben Stiefeln, Gamaschen u. blitzenden Sporen, den besten Rock angezogen u. eine Zigarette im Schnabel. - - - - - -
- - Gestern Abend saß ich noch eine Stunde am Ofen und trocknete mir Hosen, Unterhosen u. Strümpfe, die bis zu den Knien vollständig durchnäßt waren. Gestern Nachm. setzte plötzlich Regenwetter ein, das einen furchtbaren Schlamm auf die Straßen brachte, in dem ich mehrere Stunden herum watete, bis ich einige Ordnung in die Kolonne gebracht hatte. - Ich
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hätte Euch ja riesig viel zu erzählen von den militärischen Vorgängen hier, es ist ja fabelhaft interessant, was man jeden Tag neues Großartiges zu sehen bekommt, aber das darf ich Euch natürlich nicht mitteilen u. muß es auf ein gemütliches Plauderstündchen nach dem Kriege verschieben. - Ihr wißt aber wenigstens, daß es mir ausgezeichnet geht und ich in der besten Stimmung bin. - Post soll heute endlich wieder ein Sack kommen, Alles ist freudigster Erwartung. -
Das Gebiet der Sommeschlacht, das wir durchschritten haben, macht einen unbeschreiblich niederschlagenden Eindruck. Ringsum nur Verwüstung, kein heiler Baum, die Ortschaften nur in unmittelbarer Nähe an Ziegelhaufen zu erkennen. Mich fragte ein Mann, wo Warlencaui[?] liege. Wir standen 100 m davon u. er war eben durchgeritten! Eine Verbannung in dies Gebiet muß das furchtbarste sein!
- Eben bricht die Sonne durch. Der Karfreitag wird vielleicht doch noch schön. Heute Nacht hat\'s geregnet u. gestürmt, das uns das Licht ausgeblasen wurde. Wir liegen zwar in einer Wellblechbaracke, aber die ist nicht sehr dicht an ihrer Stirnseite u. die Ölpapierfenster sind
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auch etwas durchlässig, so ist das nicht weiter verwunderlich. Wir liegen natürlich, in Decken gerollt, auf dem blanken Bretterboden, Rucksack unter dem Kopf u. haben eine Ofenwache eingerichtet, so bleibt\'s etwas warm u. man wacht nicht vor Kälte auf. Bei mir ist übrigens noch 1 Feldhilfsarzt von meinem Bataillon (Duzfreund) mit einem Sanitätswagen, das ist sehr fein, daß ich so einen netten Kameraden immer bei mir habe. Hier in der Baracke liegen außer mir besagter Arzt Hoffmann, mein Kompagnieoffizier Landm.[?] Hanns[?], unsere 3 Burschen, der Feldwebel, 2 Schreiber u. ein Ordonanz. Im vorigen Lager lag ich mit der ganzen Kompagnie in einer Baracke, die Leute hatten nur eben gleich Bett, Tisch u. Stuhl verschafft und mein treuer Nix verhalf unserem Hausstand durch Requisition einer kleinen Petroleumlampe u. dem entsprechenden Vorrat englischen Petroleums zu einer wesentlichen Aufbesserung. - Für heute will ich nun Schluß machen. Feiert die Ostertage recht gemütlich (vor einem Jahr waren wir zusammen!) und seid Alle 1000 mal innig gegrüßt von Eurem Euchl. Wolf.

 

 



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