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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Eltern am 7.2.1945 (3.2002.0822)

 

Pommern, 7.2.45



Liebe Eltern,

Mitternacht ist vorbei. Ich sitze neben meinem Telefonapparaten als amtlich angestellter Kompaniefernsprecher und Melder auf Telefonwache im Betonbunker. Vor uns liegt nun seit Tagen der Iwan, rechts und links von uns – im großen betrachtet auch.
Das umfaßt alles, was ich Euch erzählen muß. Also er kam, wie erwartet. Nun sind wir Grabeninfanteristen, stehen nachts meist alle, tagsüber die Hälfte in der Sappe im Schlamm. In der freien Zeit „schlafen“ wir in Erdlöchern, schleppen Muni oder kommen auch mal zum Essen. 20 bis 100 Meter vor uns tut der Iwan das Gleiche und schießen tun wir beide. Einmal hat er angegriffen, als er aber so 50, 60 Tote vor unseren Löchern liegen hatte, kehrte er wieder um. Das gab dann noch ein Menschenschießen wie eine Treibjagd. Dann haben wir seine liegengelassenen Waffen geholt und beharken ihn nun damit.
Nun belauern wir uns tagelang, aber zu größeren Sachen ist es bei uns nicht mehr gekommen. Der tauende See zwischen uns, zum Teil leider nur, schützt etwas. Aber wann kommt er von hinten? In 3 Tagen, in 8 Tagen? Kommen tut er bestimmt und dann kommt’s drauf an. Fiat voluntas tua.
Gedanken darüber machen, das können wir nicht mehr, dazu sind wir zu abgestumpft. Was das heißt, zielen, schießen, einer bricht zusammen und dann geht man hin und holt ihm das letzte für uns Brauchbare weg und läßt das restliche Stück Mensch versaufen im tauenden See - - - das kann ich alles so schrecklich kalt tun und schreiben, als ob mir irgendwie ein Stück Wäsche fehlte, das Du uns schicken solltest. Ich bekomme das Grauen vor mir selbst.
Was uns beherrscht, ist der Gedanke: Kommst Du heraus? Wie? Denn bald scheint das schon ein Wunder. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos, noch nicht!
Ein Teil von uns verteidigt Schneidemühl, die sagen vielleicht schon anders – und unser Gegner ist der Russe!!
Heißhungrig stürzen wir uns auf jeden Bericht. Doch immer nur ist er eine Spannung zum nächsten. Kommt endlich noch mal die Meldung: Die Front steht. Es kann doch die Endphase noch nicht sein! Aber wie, wo, wann? Schule wird wohl Illusion, vorläufig bestimmt. Ach wie schön wäre es doch, nur einmal richtig schlafen! Nur einmal waschen! Infanteristenleben. Ich habe nun noch manchen großen Vorteil. Einen Tag, bevor der Russe kam, wurde ich als Nachrichtenmann Melder hier bei der Kompanie zu den Zügen. Zurück bin ich dadurch zwar keinen Meter gekommen. Aber ich sitze doch die meiste Zeit im Betonbunker, stehe vor allem nicht Tag und Nacht in der Sappe und kann fast 3 mal soviel schlafen wie die meisten. Das ist beinahe das Himmelreich gegen die anderen. So habe ich – vorläufig – mal wieder Glück im Unglück, möge es mir immer zur Seite stehen. Wie Großmutter immer sagt: „An Gottes Segen, ist alles gelegen.“ Hier kann es keiner leugnen. Doch zu fallen ist nicht das Schlimmste für uns. Gestern noch konnte ich bei einem Theologiestudenten nur denken: Gott der Vater hat sich seines liebsten Kindes erbarmt und es aus allem Schrecken zu sich in ewige Seligkeit genommen. Kann Er uns Größeres geben? So müßt auch Ihr denken, wenn mich eine der tausend Kugeln trifft. Es ist mir hier bitter um jedes Wort, auch wenn manches vielleicht abgedroschen klingt. –
Dien Post soll laufend – wieder – abgehen. So will ich nun häufiger versuchen, einen Gruß durchzubekommen. Vielleicht gelingt’s Herzlichen Gruß
Euer Ludwig

Das Couvert ist einem toten Iwan abgenommen.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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