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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Eltern am 1.12.1943 (3.2002.0822)

 

Rußland 1.12.1943



Liebe Eltern.

Ihr seht, wir haben die kultivierten Länder hinter uns gelassen, ich schreibe schon auf Linienblätter. Aber auf die Fütterung des Couverts wird es ja unter diesen Umständen nicht mehr ankommen.
Ich sitze hier mit meinem Trupp und der Vermittlung jetzt noch allein im alten Ort von unserem Haufen. Den kriegen wir immer nur für wenige Tage zu sehen. Der Uffz. ist heute in Urlaub gefahren, da habe ich den Trupp übernommen. Nun bin ich fast selbständig, und das macht mir Spaß. Eines muß ich dabei sagen und damit komme ich schon zur Beantwortung Eurer Briefe – Partisanen gibt es in der ganzen Ukraine nicht. Hier steht kaum ein Baum auf Kilometer – bis auf wenige gepflegte Wälder – zig Kilometer von hier. Wie sollen sich da Banden halten können. Die Bevölkerung ist durchweg dazu russenfeindlicher als selbst wir! – Kalt ist es hier auch nicht. Wir warten sehnlichst auf den Frost, damit die Schlammperiode zu Ende geht. Wir haben uns schon Pferde angeschafft, damit Meldungen überhaupt überbracht werden können! „Motorisierte“ Einheit. Im Bunker habe ich noch nie gewohnt, oder in einem Unterstand. Ich habe so’n Ding noch garnicht sehen. Wir kampieren nur in Häusern und lassen uns von den „Matkas“ ordentlich bedienden. Spülen, Putzen, Wasserholen, Kochen das machen die uns alle gern, sofern überhaupt noch welche da sind.
Mit den „alten Dortmundern“, was hier schon soviel wie Auslese bedeutet, kommt man immer wieder zusammen. Mehrere sind jetzt als KOB-Uffz. nach Deutschland gekommen; in unserer Batterie bin ich noch der einzige Funker von denen, der Gefreiter ist. Das ist alles Besch…. Mit dem Urlaub geht’s genau so. In der 9. sind z.B. schon alle von uns durch; bei uns fahren all die „Herren“, die im Januar noch waren. – Meine Advents- und Weihnachtsstimmung lasse ich mir aber nicht rauben; da muß noch ganz was anderes kommen. Frechsack danke ich besonders für seinen Brief. Ich wünsche ihm nach seinen Leistungen im Englischen auch viel Glück als Lateiner, das läßt sich hören, 2 Sprachen auf der Sexta, my boy, meus amicus. –
Unsere Winterkleidung ist so dick, daß wir fast wie Hampelmänner in Pumphosen aussehen vor lauter Schutz- und Überanzügen. Wenn da noch Kälte durchkommt, dann versagen alle menschlichen Hilfsmittel. – Für Eueren gemeinsamen Brief, wo das Couvert schon von 3 Händen geschrieben war, besonderen Dank. Ja, wirklich, da habe ich in Eurem Kreise gefehlt. Feste feiern, das ist so meine Sache. Zu guter Letzt: Daß ich abends kalt liege, wie Du befürchtest, das ist bisher noch nicht vorgekommen. Wohl aber haben wir schon die Türen aufgerissen, um es kälter zu bekommen.
Damit habe ich wohl alle Eure Fragen beantwortet und das Wichtigste erzählt. An das primitive, aber gute Leben hat man sich ganz gewöhnt. Nur wenn man so den 3. und 4. Tag nicht zum Waschen kommt, ist einem das unsympathisch. – Nun aber das Wichtigste: Wenn diese Zeilen den Weg durch Schreibstuben, Postämter und Züge gefunden haben, wird wohl Weihnachten ganz dicht vor der Tür stehen. So schließe ich also die allerbesten Weihnachtsgrüße und = wünsche an, für Euch alle. Diesmal bin ich nun zwar wieder nicht dabei, aber laßt Euch das nicht verdrießen. Ich werde hier schön stimmungsvoll feiern, und Eure Festesfreude braucht Ihr Euch darum bestimmt nicht stören lassen. „Freuet Euch! Nochmals: Freuet Euch!“ Auch jetzt im Kriege. Ohne Freude im Herzen sterben wir im Leben. Und wir können uns doch wirklich freuen. Weihnachten ist auch diesmal, auch diesmal wird uns der Erlöser geboren, auch diesmal wird und der Friede geschenkt. Und da sollten wir uns nicht freuen. Nein, unsere Freude kann keine Bombe, keine Granate zerstören! In dieser Meinung wünsche ich Euch allen 5 ein friedlich stimmungsvolles und segensreiches Weihnachtsfest.
Euer Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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