Galizien 23.4.44

Lieber Vater.
Heute ist wieder Sonntag, strahlender Frühlingssonntag; denn nicht nur bei Euch ist es Frühling geworden. Hier brechen nun auch die Knospen der Sträucher und kleinen Bäume auf, die sich an die Häuser ducken. Die Kätzchensträucher stehen in voller Pracht der Überblüte. Am schönsten ist aber noch die Kastanienknospe, wie sie sich entfaltet. Das Licht mit ausgebreiteten Armen aufzufangen, ihm gleichzeitig entgegenwächst, um ihm schließlich die Lichterkerze entgegenzusenden, wie aus der Überfülle des empfangenen Lichtes geboren.
Ein eigenartiges Bild bietet sich hier an der mit Birken umstandenen von Splittern und Granaten zerfetzten Kirche, die trotzdem allen Kriegsstürmen standgehalten hat. Unter dem im Frühlingswind sich wiegenden Schleiern sind Soldatengräber, ganz frische Holzkreuze mit dem‚ Stahlhelm, alle nach Osten blickend dem Feind zugewandt. Ihnen gegenüber steht ein kleines steinernes Mahnmal, ein eisernes Kreuz über dem Grabe eines Weltkriegssoldaten. Hier hat das Geschick die Kameraden wieder vereint von damals und heute, an der Grenze deutscher Ausstrahlung nach Osten als Verteidiger der Heimat.
Dann möchten ich man auch wieder glauben, der Gefallene aus Eurem Weltkrieg, ich meine dem Krieg Eurer Generation, sei ein Vater, der vor seinen Söhnen der jungen Generation liegt als ihr Vorkämpfer und Vorbild. –
Mein Bleiben in dieser Einheit ist wohl nur noch ganz kurze Zeit. Denn die Stabsbttr. wird wieder aufgestellt. Sobald ein Funker da ist der Tasten kann – sie haben da nur einen Uffz. in der ganzen Abt.!! – bin ich dann auch gänzlich überflüssig und werde heimwärts gehen.
Nun wollte ich Dir noch was erzählen. In was für einer Gegend liegen wir jetzt! Heute wurden Marketenderwaren ausgegeben und in 4 (vier) Währungen bezahlt: in Rubel (russisch), in Karbowanz (ukrainisch), in Cloty (polnisch) und Reichsmark. – Da soll noch einer wissen: Wohin gehört dies Land nun?
Für heute herzlichen Gruß. Schöne Frühlingsspaziergänge! Gruß an Ursula

Dein Ludwig