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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seinen Vater am 8.9.1943 (3.2002.0822)

 

Frankreich 8.9.43



Lieber Vater.

Es kommt mir jetzt immer komisch vor, wenn ich zweimal dasselbe schreiben soll, einmal nach Bocholt und einmal Dir. Das wird auch langweilig. Deshalb lasse ich schon einiges aus; Ihr könnt Euch dann ja mal unterhalten, was ich dem anderen mehr erzählt habe.
Jetzt will ich zuerst auf Deine Bemerkung eingehen, ich sei noch zu ideal gesinnt. Das mag aus meinen Briefen und Schreiben sicher so scheinen. Aber siehst Du, die Kommißwelt ist so real, so hart und scharf real, oft menschenunwürdig real, daß ich in den Stunden, die ich für mich habe, einmal mich ganz aus der Welt herausreiße in die zu verwirklichende Idealwelt. Ich bin in diesem Jahr nun so in die andere Welt hineingewachsen, daß ich oft fast selbst erschrecke, über mein Denken und Sprechen. Das Leben kreist hier wirklich fast nur um Essen, Bequemlichkeit und Sinnlichkeit in jeder Art. Ist es da ein Wunder, daß ich in den schönsten Stunden, in denen mir meine letzte Zeit zu Hause wieder entgegengeleuchtet, das andere Sein festhalte, das unter dem Alltäglichen hinlebt? Auf diese Art habe ich auch die enge Fühlung zu allen anderen Kameraden gefunden, ohne mich aufgeben zu müssen. Ich bin kein Außenseiter – mehr, eher einer der Tonangebenden. Da brauchst Du heute keine Sorge mehr zu haben. –
Wir werden hier andauernd gestört von den Fliegern, Einzelgängern bis zu Geschwadern von 60, 100, 150 die unter Schutz unzähliger (so schnell kurven sie herum) Jäger stolz ihre Bahn ziehen, bis sie an der Küste oder über den Städten von rasendem Flakfeuer empfangen werden. Es ist aber toll, wie manchmal die Spionage funktioniert; unser Ausladeort hat einen ganz tollen Segen gekriegt, 3 Tage später! –
Inzwischen haben wir uns hier schon recht gut eingelebt. Unsere Beziehungen für Milch und Obst laufen blendend. Weintrauben gibt’s in der Kantine das Kg für 1 RM! Unser Privatleben hier im Ausguck gefällt uns blendend. Unser Dienst ist die Landschaft genießen, sinnen und denken, unsere Freizeit Schreiben und Lesen und unsere wirkliche freie Zeit der Dienst. Man fühlt sich wirklich fast privat. Im Augenblick begleitet mich hier oben hin eine Hölderlinauswahl die Hösch mir als „Glückwunsch zur Beförderung“ schickte.
Nun für heute alles Gute und besondere Grüße an Ursula. Mit den besten Wünschen
Dein Ludwig.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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