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Brief (Transkript)

Hellmut Richter an seine Ehefrau am 30.6.1944 (3.2002.7568)

 

Westen, den 30.6.44



Mein liebes kleines Frauchen!

Jetzt kann ich es mir mal 3 Tage gemütlich machen, da ich mein Auto für die Zeit einem Oberfeldw. vom Stab geben mußte der 150 klm von hier ein Lager einzurichten hat. Um 8 Uhr bin ich heute erst aufgestanden und jetzt ist es ½ 10 Uhr wo ich an Dich schreibe. Gestern war ein richtiger Geldtag für mich, Dein Geld ist auch angekommen mit 2 x 50 Rm, dazu habe ich noch 2000,- Fr. dazu bekommen. Wehrsold gab es auch noch. Dann hat noch ein Kamerad seine Schulden von 260,- Fr. bei mir bezahlt. Unser Waldvogel mit seinem Kommando ist auch aufgefunden worden. Die Gleise sind vor und hinter dem Zug zerstört gewesen und so haben sie da wochenlang stehen müssen. Von W. bekomme ich noch von Ungarn 250,-Fr. und von einem Mann der bei ihm ist 460,- Fr. So habe ich nun bald 12000,- Fr. an Bargeld. Also schicke mir nichts mehr her. Dir habe ich unrecht getan, wenn ich erst annahm, daß Du das Geld vergessen hättest abzuschicken. Die Briefe v. 13.5. und 7.6. bekam ich aber erst vorgestern wo drin steht, daß Du Geld abgeschickt hast. Gestern Abend kamen zwei Fahrer von uns mit einem Bullen von 12 Zentnern auf dem Wagen an. Sie haben ihn auf einer verlassenen Siedlung auf der Weide eingefangen. Nun haben wir wieder zu essen für einige Tage. Peter hat ihn heute morgen geschlachtet. Ich glaube ich hätte keinen schlechten Kriegsberichter abgegeben. Gestern las ich einen Bericht über Tiefflieger über der Normandie. So ähnlich habe ich es Dir auch geschildert einige Tage früher. Vielleicht nicht ganz so stielvoll wie Du es in dem beiliegenden Artikel aus der Pariser Zeitung nachlesen kannst. In der Zeitung lese ich auch, daß unsere Division 130 Panzer an der Front in einigen Tagen abgeschossen hat und lobend erwähnt wurde. Man freut sich doch etwas bei so einer Einheit zu sein die am Kriege beteiligt ist. Wie sollte er sonst auch gewonnen werden. Unsere Leute tragen durch die gefährlichen Fahrten mit Sprit und dazu bei der Fliegerabwehr mit zum Gelingen der Erfolge bei. Einige Fahrer haben in den Invasionstagen bisher 400 Kilometer gefahren.
Ein halbes Jahr geht mit dem heutigen Tag zu Ende und es geht schon wieder abwärts. Viele schöne Sommertage müssen aber noch kommen, denn bisher war es noch nicht oft warm. Viel Regen hatten wir in der letzten Zeit und ich bin froh, daß wir Dach über dem Kopf haben und nicht mehr im Walde schlafen müssen.
Wenn mein Auto wieder da ist, will ich mal in die Gegend fahren die von der Bevölkerung verlassen ist und junges Gemüse aus den Gärten abernten. So ein Krieg ist für Zivilisten traurig. Ich stand vor einigen Tagen in Deckung vor Fliegern an einer Nebenstraße. Da kamen sie in langen Kolonnen an die Flüchtlinge. Mit Hausrat auf dem hohen zweirädrigen Karren, oft hatten sich die Männer davor gespannt. Die Frauen zu Fuß mit der Kuh am Strick oder Ziegen hinterher. Auf Fahrrädern, ganz kleine Kinder in einem Tuch hinter draufgebunden. Es ist ein schrecklicher Anblick, wie sie alle so ängstlich vor den Fliegern die Straßen entlang kommen. Die amerik. Flieger beschießen alles, was sie sehen, auch auf Zivil. Dann sogar unsere Sani.-Wagen mit Verwundeten drin die ganz langsam fahren müssen werden zerschossen und stehen dann massenweise ausgebrannt an der Straße. Wieviel Verwundete sind da schon mit verbrannt? – Die Flüchtlinge erleben ja auch den Krieg das erste Mal, da er hier noch nie war. Wenn die Invasion lange dauert gibt es in Nordwest-Frankr. wohl kaum einen heilen Ort oder eine Stadt. Die Kleinstädte im Umkreis von 50 klm von uns sind schon sehr zerstört. Denke nur, unser Fahrer war mit Aufträgen noch einmal dort unten wo wir zuletzt in Ruhe gelegen waren. Das Städtchen und die Ortschaft sind bei einem Bombenangriff fast völlig zerstört worden nachdem wir da weg waren. Also sicher wären wir da nicht gewesen. Dem Feind wird es doch bekannt gewesen sein, daß da viel Truppen lagen. Er hat nur zu spät angegriffen und nur die Bevölkerung getroffen. Die Franzosen muß man aber nicht bedauern, so leid es mir auch immer tut wenn ich das Elend sehen muß. Auf der Fahrt aus dem Hinterland wurden schon einige Wagen von uns beschossen, dabei haben sie in die Riesenluftreifen von einem L.K.W. von uns geschossen. Also Franzosen machen als Partisanen das Land für den Nachschub unsicher. Man versteht eben die Welt nicht mehr. Dadurch ergreifen wir nun auch die entsprechenden Gegenmaßnahmen um unser Leben zu schützen. Wenn sich was regt wird eben gleich geschossen und dann so lange bis es still ist. Hier sind solche Fälle ja noch nicht passiert aber trotzdem lassen unsere Posten nach 10 Uhr abends keinen Menschen außer Militär auf der Straße. Es wird schon bei dem geringsten Verdacht einer Gefahr geschossen. Die Franzosen könnten es besser haben es wurmt einen schon manchmal wie sie so garnicht tun als wenn Krieg wäre. Dabei haben die den Krieg durch ihre Hetze mitverschuldet. Nachdenken über das alles darf man garnicht, da es zu sinnlos ist. Die ganze Invasion muß eben eingedämmt bleiben und hier hat jeder die Hoffnung dass dieses gelingt. Wir bekommen ja den Nachschub besser ran wie der Gegner, der immer das Wasser dazwischen hat.
Einige Kranke habe ich auch. Einer hat eine Flechte am Körper und wird jetzt jeden Tag eingepinselt. Einige haben Verstauchungen als sie beim Abspringen vom Fahrzeug schnell in Deckung wollten. Mir selbst geht es gut in jeder Beziehung. So kleine körperliche Leiden, wie ein bischen Rheuma ab und zu, dann mal ein dickes Auge vom Motoradfahren und andere Kleinigkeiten die ich in der letzten Zeit hatte will ich nicht groß erwähnen. Das rechte Bein hatte ich mir auch versprungen. Wo jetzt alles wieder gut ist kann ich Dir ehrlich berichten das es mir gut geht. Schreibe Du mir aber alles was Euch Dreien passiert und wo es weh tut. Ich will Dich mit meinen kleinen Sachen nicht unnötig ängstigen. Man kann ja auch nicht immer gesund sein. Nachts schlafe ich jetzt so unruhig durch die vielen Geräusche in der Nähe durch Schüsse, Bomben, Fahrzeuge und Panzer die vorbeirollen und Flieger. Manchmal aber auch weil man so ganz und schon so lange ohne Frauchen daliegen muß, - und nichts zum Andrücken und austoben hat. Ich stelle mir oft vor, wie schön es wieder mal wird, wenn ich zu Dir kommen kann und vielleicht nicht wieder weg muß von Dir. Wenn wir uns nur gesundheitlich durch diese schlimme Zeit retten können, das andere ist wiedereinzuholen. Vor einigen Wochen hatte ich 2 Tage Magenkrämpfe und dachte schon dass ich krank wurde. Es ist aber wieder verschwunden und nicht wieder aufgetreten. Als Soldat lebt man ja so unregelmäßig, das muß sich im Laufe der Zeit mal rächen. Mal gibt es lange keine Kartoffeln wie jetzt wieder. Mal nur Knäckebrot, mal nur ganz frisches Brot, mal ist es schimmelig. Kein Gemüse usw. Bei Dir hatte ich es doch so schön, muß ich so oft denken. Jetzt geht es ja nur müssen wir uns Gemüse und Kartoffeln beschaffen. Zweck hat es ja nicht viel Dir das zu schreiben, aber als mein Frauchen sollst Du alles von mir wissen. Zu ändern ist es nicht. Ich lebe sonst gesund, rauche nicht so viel und trinke keinen Alkohol. Lache da nicht etwas und denke: Wein trinkt er genug, wenn das kein Alkohol ist. Ich bin da gegen meine Kameraden sehr vorsichtig und wählerisch. Nur wenn ich gegessen habe und was mir schmeckt trinke ich und dann nur mäßig. Ich habe mich noch nie bei der Einheit betrunken. Was habe ich hier schon und wie oft meine Kameraden besoffen gesehen. In Or. gibt es viel starken aber nach unserem Geschmack schlechten Likör und Schnaps da gehe ich nicht ran. Guten Sekt und Süßwein trinke ich mal gern. Cognak vertrage ich auch nicht mit dem Magen und habe meinen Marketenderanteil noch wo wir das erste Mal in Fr. waren in meiner Kiste. – Jetzt ist es Mittag geworden und ich will aufhören mit Schreiben. An Dich weiß ich immer was zu schreiben und es geht ganz von allein.
Es küßt Dich und meine Kinder
Dein Hellmut

 

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