Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 26.5.1942 (3.2002.0827)

 

d. 26.5.42 2.30 (nachts)



Liebe Elly,

Gestern kam Dein Brief mit dem Briefpapier an. Recht schönen Dank. Bevor ich antworte, erst mal einen Bericht über Pfingsten: Sonnabend: Arbeit bis 18 Uhr. Dann bin ich ins Kino gegangen (seit ca. 6 Wochen das 1 x). „Leichte Muse“. Ein sehr netter Berliner Operettenfilm. Wochenschau u. a.: Die Philharmoniker unter Furtwängler spielen zur Werkpause in einem Rüstungsbetrieb eine Wagner-Overtüre. Früher war solch Konzert ein Fest, heute bekommt man Kunst in der Frühstückspause aufs Brot gelegt (statt Butter + Wurst wahrscheinlich). Ein wahrer Hochstand der Kultur. – Sonntag: Frühstück 1 Kaffee, 2 Stück Kuchen. Mittags: Milchreis m. Pflaumenkompott. Bohnenkaffee. Abends: Theater. Vorstatt-Kabarett miesester Sorte. Ich bin ausgerückt. Aber der Landser freut sich, denn man spart nicht mit ordinären Worten. Stimmung, Stimmung, meine Herren! – Montag: Mittag: Kart.+ Gulasch + Pudding. Nachm.: 2 Stück Kuchen (schmeckt ganz gut). Abends: Seit 3 Wochen wieder mal Marketenderwaren. (Übrigens, werden uns die Marketenderwaren mit Aufschlägen bis zu 50 % verkauft. Wo bleibt das Geld? Preisfrage!) 30 Zigaretten. M.W. steht uns viel mehr zu (S. andere Einheiten). Wo ist der Rest? Preisfrage! Dann: Kartoffelsalat + 2 Eier, Bohnenkaffee. Portion: Brot, Butter + Käse (Rockfort. Ich kann das Zeug nicht essen). Dann: Kameradschaftsabend. Ich habe aber Wache! Hurra! So brauch ich wenigstens nicht anzusehen, wie andere meine Verpflegung fressen, meine Zigaretten rauchen, meinen Schnaps saufen. Es sollen ca. 80 (!!!) Gäste sein. Ich freue mich über die Wache. Warum ist mir aber 1 Woche lang jeder Nachmittag verdorben worden mit der Singerei? Das ärgert mich! Sie haben aber im Chor nicht viel an mir verloren, denn ich mache mir nichts aus den Soldaten-Songs. (Liebchen ade. Weine nicht! Ich ziehe in einen lustigen Krieg. Falls ich aber ein Ding verplättet kriege, mach Dir nichts draus. Ich habe nur meine Pflicht getan. Such Dir nen anderen. (woher nehmen + nicht stehlen?) und wenn Du mal eine sentimentale Welle hast, denke an Deinen Helden mit dem E.K. Hurra, Hurra, Hurra, denn wir fahren gegen Engeland.) Deutsche Volkskunst! Melodie beliebig. – Vorschlag unseres Hauptmanns: Bombenabwehr! Kleine Bomben (Sprengwirkung 50 m. Weitzünder) bekämpft man, indem man an einen Besenstiel eine Decke hängt, sich dahinter versteckt (damit man von der Bombe nicht gesehen wird?) und dann an die Bombe rangeht und mit Sand erstickt. Darauf Vorschlag der Kameraden. Man schlage Bomben mit einem nassen Handtuch tot. Das ist kein Witz, sondern traurigster Ernst! – Inzwischen habe ich geschlafen und es ist 11 Uhr und die Berichte von der Feier sind da. Also: es war ein voller Erfolg. Alles gratis. Wenig Bier, dafür viel Schnaps. Alles war besoffen + bekotzt von oben bis unten. Man hat sich blendend amüsiert und ist zufrieden. Aller Kummer ist vergessen und auch der Ärger, dass man wochenlang nichts bekommen hat. Und die Küche ist glücklich. Wenn nun einer sagte, das er sich betrogen fühlt, kann man immer sagen, dass alles, alles am Kameradschaftsabend ausgegeben worden ist. Jedes Manko ist damit ausgeglichen und den ? ist mit Knochen das Maul gestopft worden. Die Unterkunft war festlich geschmückt mit ?, eine Damentoilette ist gebaut worden, vor dem Eingang sind für 30,- Blumen gepflanzt worden und mit Sträuchern zusammen zu einer hübschen Anlage vereinigt. Wir werden aber davon nicht mehr haben, denn am 10.6. wollen wir unsere Zelte abbrechen und ca. 200 km vorrücken. (Positionsmeldung folgt). Es steht trotzdem noch nicht fest, ob wir zum Einsatz kommen. – Die Russen haben wieder mal durch Fallschirm Partisanen abgesetzt, die Sabotageakte und Überfälle verüben. Richtige Ruhe wird es hier nie geben. Aber die großen Kampfhandlungen werden doch wohl im Herbst abgeschlossen sein. Wahrscheinlich kommen diesmal unsere neuen Waffen in größerer Zahl zum Einsatz und deren Wirkung ist so furchtbar, dass weithin alles Leben vernichtet wird. Hoffentlich habe ich mit diesen Sachen nie zu tun. - So, und nun erst mal zu Deinem Brief: Was Du über den Wirtschaftseinsatz in Russland schreibst, stimmt schon, nur glaube ich, dass die Organisationen vorläufig nicht produktiv arbeiten können, da es an Menschen + Material fehlen wird. Dass ich jemals dort arbeiten werde, glaube ich nicht, denn ich sehe für mich keine Chance. Für Anzugstoff interessiere ich mich trotzdem. Erwünscht ist gedecktes Grau, gestreift oder Grätenmuster etc. – als Straßenanzug + für alle Zwecke verwendbar. lange hat mir Stoff angeboten, ich habe aber von seinem Angebot keinen Gebrauch gemacht, weil Du die Verbindung nicht gewünscht hast. Ein Schneider wird schon zufrieden sein. – Die Angelegenheit v. L. ist interessant. Ich weiß auch nicht, nach welchem System die Güter verteilt werden. Mancher wird aber dabei sein Glück machen. – Die Unklarheiten die durch das zwangsläufige Durcheinander in meinen Briefen entstanden sind, sind ja wohl durch meinen letzten Brief beseitigt. – Das Kniffbild ist .E. doch falsch. Ich tippe W.C. – Die Soldaten werden nicht aufräumen, denn sie sind müde und wissen nicht wohin. Ihre Stimmung ist katastrophal und alle warten energielos auf das Kriegsende. – Wo kein Richter ist, ist auch kein Kläger. Daher Schiebertum. - Aus Deinem Br. entnehme ich, dass P. scheinbar Brotmarken in S. abgeliefert hat. Davon wusste ich nichts. Ist natürlich Idiotie, den 1. hättet Ihr sie besser gebrauchen können + 2. sieht es für die S. so aus, als wie: Ihr wisst nun, was ihr zu tun habt. Ist direkt peinlich. – In meinem Brief soll es natürlich nicht „Russland“ sondern „Deutschland“ heißen. Kleiner Irrtum. – Für Deine Bemühungen Lenaustr. schönen Dank. Wie war die Wirkung meines Briefes? Ich überlasse Dir jede weitere Regelung. – Den Klatsch in Glienike halte ich nicht für gefährlich. Höchstens erfährt Onkel A.a.O., etwas und er schweigt. – Du beklagst Dich über die Proleten. Ich arbeite, schlafe, esse + lebe mit ihnen und sie sind meine Vorgesetzten. Vielleicht kannst Du ahnen, wie mir zumute ist. – Gries, Zitronenschale + Zimt kann ich nicht gebrauchen. Danke Dir aber schön für Dein Angebot. – Bilderschecks kann ich nicht beschaffen. Habe auch keine mehr. Scheibe einfach an die Zentrale, warum Du für die vor 8 Wochen ca. eingesandten Schecks keine Bilder bekommst. Sie schicken dann meist welche mit einer Entschuldigung. – An Lernbacher würde ich gerne schreiben, habe aber sowieso schon zuviel Korrespondenz + zu wenig Zeit. (So viel + so lange Briefe wie Du, bekommt sonst niemand). Hätte auch wenig Zweck, denn sicher haben wir die gleichen Ansichten. Seine Stimmung wird kaum schlechter sein, als meine. Falls er aber schreibt, antworte ich natürlich. Die Anrede ist selbstverständlich „lieber Kamerad“ + „Du“. Freue mich, dass andere auch so denken wie ich, mit Umkehrungen natürlich. Selbst unter diesem Mistvolk von Sachsen finde ich viel gleichgesinnte, obgleich sie Armut und Unterdrückung gewohnt sind. Scheinbar wird es ihnen aber jetzt doch zuviel. Trotzdem sind alle der Meinung, dass wir den Krieg gewinnen müssen, da sonst kein Deutscher der Rache der anderen entgehen würde. Sie glauben, dass alle Deutschen totgeschlagen werden, wenn wir den Krieg verlieren + ich kann sie verstehen, obgleich ich diese Ansicht natürlich nicht teile. Dagegen glaube ich, dass die entgültige Entscheidung noch vor Einbruch des Winters erfolgt + erfolgen muss. Die Soldaten, die einen Frontwinter in Russland überlebt haben, überleben keinen zweiten und die hier in Ruhe gelegen haben, wohl auch nicht. Eine Schilderung der Entbehrungen + Strapazen, kann immer nur ein blasses Bild geben und die Heimat ahnt nicht, was geleistet und ausgehalten worden ist. Es war zu fruchtbar. Schilderungen aus dem Weltkrieg sind Manöverbilder im Vergleich zu diesem Krieg. Und das sagen Weltkriegsteilnehmer. Na, darüber sprechen wir vielleicht später mal. – Meine Wache ist gleich rum und ich will Schluss machen. Scheibe im Quartier noch einen Nachsatz. – Also die Nummer ist 344 532 B – Schnaps haben wir eben nachgeliefert bekommen, 0,2 l. Sind davon natürlich sinnlos besoffen! Verpflegungsschnaps müssten wir noch ca _ l. bekommen. Dazu Marketenderwaren ca _ l. – Neulich sagte der Hptm. vor der Front: Die Verpflegung ist ausreichend. Es gibt aber Vielfrasse, die nur fressen ohne zu verdauen, da es der Magen nicht schaffen kann. Das sind aber nicht etwa die Dicken, sondern meist die Dünnen. (Seitenblick auf mich). Ich wollte schon vorschlagen, meine Verdauungsprodukte noch einmal zu verwenden, da ja die Kraft noch drin sein muss. – Nächstens mehr. Herzlichen Gruß auch an red und Onkel Alex
Heinz

 

top