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Brief (Transkript)

Heinz Sartorio an seine Schwester am 28.3.1942 (3.2002.0827)

 

Russland, d. 28.3.42



Liebe Elly, lieber Fred,

zunächst noch nachträglich herzlichen Glückwunsch zu Fritz Geburtstag. (Ich weiß aber bis heute noch nicht, wann F. tatsächlich Geburtstag hat). Die 2 Briefe sind gestern gut angekommen. Herzl. Dank. Habe mich sehr gefreut. Jede Nachricht aus der Heimat und sei sie noch so kurz, ist hier eine große Freude. - Gestern habe ich an Papa geschrieben. Den Brief wirst du ja auch noch zu lesen bekommen. Ich konnte in den letzten zehn Tagen nicht schreiben, weil ich Grippe hatte und immer nur geschlafen habe. Es ging mir gar nicht gut. Jetzt ist es aber vorbei und ich fühle mich ganz wohl. Habe nur noch Krätze. (Siehe Anlage) Wie ich schon an Papa geschrieben habe, habe ich wieder sehr mit meinen Füßen zu tun. Durch das schwere Tragen und Heben machte sich auch mein Leistenbruch wieder sehr bemerkbar. Bin deshalb beim Arzt im Lazarett gewesen und "nur für leichte Dienst tauglich" geschrieben worden. Mache seitdem nur Innendienst. Ofen heizen, Holz Sägen, fegen etc. die üblichen Beschäftigungen für Innendienstkranke beim Militär. Es ist zum Kotzen. Wenn ich doch bloß mal einen ständigen Posten bekommen würde, den ich tatsächlich voll ausfüllen kann. Aber beim Militär steht man scheinbar meist auf dem falschen Platz. Mein Hauptmann ist natürlich nicht begeistert von mir und ich falle ständig unangenehm auf, aber er ist doch so vernünftig, nicht mir die Schuld zu geben, sondern den Ärzten bzw. Sorau, die mich her zu den Pionieren geschickt haben. Was aus mir nun werden soll, weiß ich nicht, aber dass Leute hier nur als Kraftfahrer Verwendung finden, ist nicht möglich. Vielleicht kann ich doch noch zu einer anderen Einheit versetzt werden, wo ich dann voll verwendungsfähig bin. Ich weiß bloß nicht recht, wo das ist. - Aus dem Nichts ist hier einen Gemeinschaftsraum geschaffen worden, der wirklich fabelhaft gelungen ist. Manche Garnison im Reich kann sich dahinter verstecken. Vor 8 Tagen war Einweihung. Es gab prima Erbsensuppe, Zigaretten, russisches Bier (was mir gar nicht schmeckt) und Schnaps. (Rum, Cognac und 96-prozentigen! Wodka) Das reine Rattengift. Die meisten haben sich dann auch abends besoffen und ich fand es schrecklich. Ein Kamerad (!) hat mir meine Brille zerschlagen und will sie nun nicht bezahlen. Das war eine schwere Schlägerei, bei der ich, da ich völlig nüchtern war, mit Längen gewonnen habe. Meine Ruhe wäre mir aber lieber gewesen. Gestern war nun offizieller Gesellschaftsabend gewesen. Es waren Offiziere und DRK Schwestern vom Bahnhofsdienst eingeladen. Es gab Bohnenkaffee (!) und Kriegskäsekuchen (ein tolles Zeug, hier aber einen Genuss) und belegte Brote. Nicht gerade zum sattessen, aber doch eben etwas. Dazu wieder Bier und Schnaps. Es spielte die Kapelle vom Luftwaffenbaubataillon, dazu die üblichen Vorträge. Ich gehörte zur Gesangsgruppe. Bin dazu kommandiert worden. Der Abend war ganz nett und nicht so besoffen. Ich mache mir aber aus solchen Festen eben nichts. Die Kontraste sind mir zu groß. Ich will nichts geschenkt haben, will mir aber auch nichts von meinen Rechten nehmen lassen. Plötzlich Überfluss, dann wieder nichts. Eine gleichmäßigere Verteilung wäre mir lieber. Dann hat man auch eine bessere Kontrolle. So weiß man nie, ob man tatsächlich das bekommt, was einem zusteht. 1x haben wir 1 Tafel Schokolade bekommen. Ab und zu soll es auch Bohnenkaffee geben. Aber wenig und selten. Wenn Uli Schokolade schickt, isst er entweder keine, oder aber er hat besondere [?]. Mit Zigaretten dito. Es werden die tollsten "Geschäfte" gemacht. Rauchwaren habe ich zur Zeit ausreichend. Wenn man Gelegenheit hat öfter ins Soldatenheimat zugehen, kann man sogar zu großen Vorräten kommen. Es klappt eben nicht ganz mit der Verteilung. Und so ist es mit allen Sachen. Wenn man sich erst rein gefunden hat und an der richtigen Stelle sitzt, kann man ganz gut leben. Man darf nur nicht zu weit nach vorne kommen. - Von der viel gepriesenen Kameradschaft bei der Feldtruppe, habe ich nicht viel gemerkt. Je größer die Not, desto mehr sieht jeder wo er bleibt. Darin hat es mir in der Garnison besser gefallen. Ich finde überhaupt nicht den richtigen Anschluss. Die alten Leute hier sind meist Sachsen und schon 3 + 4 Jahre zusammen. Berufe fast ausschließlich Arbeiter und Handwerker. Bei dem Ersatz fast ebenso. Einer ist ganz nett. Ist Gastwirt aus Leer/Ostfriesland und hat Schule besucht und man kann sich schon mit ihm unterhalten. Dienstgrade meist Oberbefreiter und Gefreiter. - Beförderungsaussichten = 0 - So doll wird es also mit dem Sparen nicht, obgleich ich jetzt durch die Frontzulage 75, -RM Monatssold bekomme. Vorläufig behalte ich noch das Geld für eventuelle Gelegenheitseinkäufe, wenn ich etwas übrig habe, schicke ich es Dir zu. Bekommst Du es, wenn ich per Postanweisung schicke? - Sonstige geldlicher Ansprüche an die Wehrmacht habe ich nicht. Es soll zwar ein Gesetz kommen, dass gerechterweise alle Soldaten mit mehr als drei Dienstjahren Kriegsbesoldung bekommen sollen, aber darüber ist noch nichts genaues raus. Wird wohl eine Ente sein. - Kürzlich habe ich hier einen Kameraden (Unteroffizier) aus Berlin getroffen, der zur Zeit mit mir zusammen abgestellt worden ist. Die Welt ist eben klein und selbst in Bobruisk trifft man Bekannte. Er ist bei einer Nachschubkolonne, die Verpflegung und Munition zur Front fährt. Gefällt ihm auch nicht und er denkt an die schöne Zeit in Berlin Zurück. Aber ist man ja durch die ewige Wache auch verrückt geworden. Es hat eben alles seine Schattenseiten. - Nun zur Beantwortung Deines Briefes: mit Egon habe ich die FpNo. ausgetauscht. Wir bleiben in Verbindung. Mir liegt daran, weil Egon gute Beziehungen ins Ausland hat (durch seine Reisen) und ich davon eventuell mal Gebrauch machen will. Er will nach Kriegsende ins Ausland gehen. Er glaubt dort ein besseres Fortkommen zu haben, weil er freier Kaufmann bleiben will. - Die Angelegenheit mit den Ski kommt ja nicht mehr in Frage. - Uffz. Kurse gibt es nur für aktive Unteroffiziere bzw. solche die es werden wollen und sich auf zwölf Jahre verpflichten. Offizierskursus kommt für mich nicht in Frage. - Die Bestätigung über das Paket habe ich bekommen. Der braune P. stammt aus Frankreich. Ihr könnt die Sachen ruhig tragen. - Ich habe nur 1 Paket geschickt. Der Koffer ist nach [...] gegangen und auch um gut angekommen. - Von Reklamationen von der Front weiß ich nichts. Kann darüber auch nichts erfahren. Kommt kaum in Frage. Achte nur darauf, ob etwas Neues über die Kriegsverwaltungsbeamtenlaufbahn rauskommt. Dafür habe ich nach wie vor Interesse. Eben so für die Angelegenheit der nicht erfolgten Bewerbung. Vielleicht ist da doch nochmal etwas zumachen. Erkundige Dich doch danach, wenn du Gelegenheit hast. - Was du über die L.-Steigerung schreibst etc. ist mir sehr interessant. Es deckt sich alles mit meinen Ansichten. - Günther hat natürlich den Vogel abgeschossen und schlechthin den Posten. So etwas ist heutzutage das einzig Richtige. Das mit der höheren Buchhaltung ist mir nicht ganz klar. - Dann nochmals meine Warnung: bleibe im Lande und nähre Dich redlich! Und wenn Du noch so viel Geld bekommst, es lohnt nicht auf Abenteuer zu gehen und Du wärst furchtbarer enttäuscht. Ich denke oft an Euren schönen Garten und das Haus und wäre gern für 100 RM dort statt für 1000 RM hier. - O.U. heißt wahrscheinlich Ort unbekannt oder das ähnlich. Ich weiß es auch nicht und andere können es mir auch nicht sagen. - Was bei den Zigarettenbrief "Rückseite beachten" heißt, habe ich nicht verstanden. - Meine Wunschzettel wirst du ja inzwischen bekommen haben. Ich will nicht unbescheiden sein und Ihr sollt Euch nicht berauben, aber vielleicht fällt doch mal was ab. In der Heimat hat man 1000 x mehr Möglichkeiten, die Verpflegung einzuteilen als hier und ab und zu gibt es doch auch etwas essbares "ohne". Hier jedenfalls ist es ganz belämmert und ich kann nur einigermaßen zurechtkommen, wenn ich ab und zu ins Soldatenheim gehen und dort etwas essen kann. Sonst fühle ich mich jetzt aber einigermaßen wohl. Die Grippe ist vorbei und es bleiben nur die Fußbeschwerden, durch die ich so leicht ermüde. - Endlich, endlich ist die Kälte vorbei. Seit drei Tagen ist es ganz schön. Tauwetter und unheimlicher Matsch. Wir werden wohl bald die Winterbekleidung abgeben und dann ist mir schon wohler. Das rauhe Wetter war mir zu viel. - Im Theater spielt jetzt eine KdF-Kabarett-Gruppe. Ist nicht doll, aber zur Abwechslung ganz schön. Der Theaterbau erregt immer wieder meinen Entzücken. Eben so einen Sowjet-Verwaltungsgebäude. So etwas lächerlich-protzig-stilloses habe ich noch nicht gesehen. Außerdem sind die wenigen Steinbauten nur nach der Straße zu verputzt. Hinten alles roh. Es ist wirklich erschütternd und Russland bleibt eben das Land der Potemkinschen Dörfer. Es wäre schrecklich gewesen, wenn sich diese Regierungsform über Europa und die Welt ausgebreitet hätte. - Die Russen sind mir übrigens unsympathisch. Ich halte sie für falsch. Ein Beweis dafür dürfte das Partisanenübel sein. (Meist sagt man hier Palisaden. Das Volk ist zu blöde.) Es ist tatsächlich ungeheuer, was das Gesindel angerichtet und nirgends ist man seines Lebens sicher, da Überfälle an der Tagesordnung sind. Ich würde mit den Russen nicht so freundlich umgehen. - Heute nun Schluss, ich will sehen, dass ich noch etwas im Soldatenheim bekomme, denn wir haben jetzt ausnahmsweise schon am Nachmittag frei, weil gestern der große Abend war. - Lasst recht oft von Euch hören. Ich wünsche euch ein frohes und gesundes Osterfest recht herzlichen Gruß
Heinz

Illustrierte Zeitungen und Lesestoff aller Art sind erwünscht. Hier bekommt man nur Kriegsliteratur in der Soldatenbücherei zu kaufen.

[Beilage:] Programm für den Kameradschafts-Abend der Brückenkolonne des Panzer-Pionier-Bataillon 98 am 27.3.42

Achtung! Wegen der Gefahr der Übertragung von ansteckenden Krankheiten (Krätze gehört wohl auch dazu?) bitte ich meine Briefe vorsichtig anzufassen.

 

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