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Brief (Transkript)

Lutz Raumer an seine Eltern am 4.2.1945 (3.2002.7404)

 

Bönnigheim, den 4. Februar 1945


50) (richtige Nummer)

Liebe Eltern!

Heute habe ich Euch etwas sehr wichtiges und sicher auch sehr schmerzliches mitzuteilen. Jetzt wo ich die Gewissheit hatte in der nächsten Zeit Urlaub zu erhalten, ist eine Urlaubssperre eingetreten, und zwar für die Urlauber, die nach Berlin und östlich davon hin wollen. Ihr könnt Euch denken, was das für ein Schlag für mich war. Auf eine Art ist es aber auch ganz gut, daß es so gekommen ist und zwar aus folgenden Gründen: Mir würde es in Berlin dann so gehen, wie so vielen würde man mir ein Gewehr und eine Panzerfaust in die Hand drücken und mich dann an die Front schicken. Dazu brauchte ich dann ja nicht auf Urlaub fahren. Daher müssen wir uns darauf gefasst machen, daß wir uns sehr lange Zeit nicht mehr sehen. Denn wie ich schon hörte, ist man dabei Berlin zu evakuieren. Somit wären wir dann vollends auseinander gerissen. Wie es dann mit der Post werden soll, ist mir noch vollkommen unklar, denn dann weiß der eine nicht wo der andere steckt. Zum Glück geht es uns nicht nur allein so, es aber auch nur ein schwacher Trost. Eine Möglichkeit gäbe es noch, damit wir wenigstens einigermaßen in Verbindung bleiben können. Wir nehmen Großmutti, solange dort noch kein Feind ist, als sog. Zentrale und richten unsere Briefe, wenn der eine nichts mehr von dem anderen weiß, dorthin, damit Großmutti sie entweder weiter befördert oder uns wenigstens die neue Anschrift mitteilt. Ausserdem nehme ich aber an, daß Mutti, wenn die Evakuierung auch an Euch herantritt, nach Marktredwitz fahren wird, wo sie wenigstens in Sicherheit ist, denn Marktredwitz zeichnet sich durch eine gute zentrale Lage aus. Wenn ich beizeiten wüßte, daß Mutti dort ist, würde ich dorthin in Urlaub fahren. Sonst wäre es mir doch zu langweilig. Ausserdem bin ich von den Leuten, mit den ich nach Busenbach sehr viel verkehrt bin, angehalten worden, dort einige Tage meines Urlaubs zu verbringen. Ich würde das schon tun hauptsächlich aus Gründen der Verpflegung und des Essens, das dort ausgezeichnet ist.
Auch hier erfreue ich mich noch eines ruhigen und ungestörten Daseins. Das Essen ist sehr, sehr gut und reichlich. Manchmal spürt man, wenn natürlich nicht gerade die Sirenen tuten, gar nicht, das überhaupt Krieg ist. Wie ihr also seht, braucht Ihr Euch um mich keinerlei Sorgen zu machen. Ich ängstige mich nur um Euch. Daß Vati nicht fort kann, ist mir klar, denn er muß wahrscheinlich zum Volkssturm. Wenn man das alles sieht, könnte man bald verzweifeln. Wer hätte gedacht, daß es einmal so weit kommt. Wie haben wir die Russen früher verspottet als sie von einem Marsch auf Berlin sprachen; ob das auch einkalkuliert war. Ich versuche in letzter Zeit meine reichlich wirren Gedankengänge durch vermehrte Arbeit zu zerstreuen, was mir auch ganz gut gelingt. Abends habe ich schon immer Angst vor dem Schlafen gehen. Denn dann kommen einem allerhand Gedanken, die nicht dazu angetan sind, meine Stimmung zu heben.
Für heute möchte ich dann schließen, damit der Brief noch rechtzeitig fort kommt und Euch möglichst schnell erreicht.
Ich grüße und küsse Euch nun herzlichst und verbleibe Euer immer an Euch denkender

Lutz

 

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