Brief (Transkript)
Karl Linder an seine Eltern und Schwestern am 08.11.1915 (3.2009.0497)
Brief schon wieder unterbrochen, musste […]
[…]
Am 31. abends kamen wir in Stellg, den neuen Graben halten. Nun hatten wir wieder keine Unterstände, die Franzosen wohnten da nämlich auch nur in elenden Löchern, die bei Artilleriefeuer natürl. unbrauchbar sind und bei Regenwetter noch mehr.
1. Tag und vorhergehende Nacht schönes Wetter, Laufgraben trocken.
1. Nov. nachm. 4h Regen u. nun immerfort Regen.
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Der Boden wurde weich und saftig, von den Wänden fiel unaufhörlich Dreck, Sandsäcke rutschten herab, wo nun sich aufhalten, da half nichts, man musste im Graben stehen bleiben, am besten war Postenstehen, so man ein Zelt über sich ausgespannt hatte. Ein paar Löcher gewährten zur Not auch noch Schutz vor Nässe. Die ganze Nacht vom 1. auf 2. den ganzen Allerseelentag und die nächste Nacht immerfort Regen. Es sah geradezu schauerlich aus. Man stand fast bis an die Kniee im Schlamm, um u. um war man voll Dreck, selbst das Gewehr war vor demselben nicht mehr zu schützen. Wären die Franzosen gekommen, wir hätten wenig machen können. Noch minder als in der vorderen Stellung sah\'s in den Laufgräben aus; da reichte der Dreck über die Kniee. Ablösen am 2. Nov. war nicht möglich, so mussten wir noch 1 Nacht u. 1 Tg draus bleiben (3. Nov.) Zum Glück wurde es wieder schön Wetter. Wir konnten den Graben wieder säubern, aber die Laufgräben blieben voll. Um 8 h abends sollten wir abgelöst werden um 1 h nachts kam die Ablösung. Die Kompagnien hatten zum Durcharbeiten in den Laufgraben etwa 3 Std gebraucht und gingen teilweise auf freiem Felde. Nun mussten auch wir diesen schweren Weg zurück. Eine kleine Strecke gings, dann kam\'s aber arg. Vorn stockte es, da mühten sie sich ab um einen Hilflosen aus dem Dreck zu ziehen. Endlich gings wieder weiter, Schritt für Schritt, hinein bis weit über das Knie, das hintere Bein mit größter Anstrengung wieder heraus. Noch tiefer wurde der zähe Schlamm. Ich brachte das Bein wohl heraus, jedoch nur ohne Stiefel, so auch das andere Bein. Jetzt war ich gestellt, barfuß, auch die Socken verloren. Vor mir stiegen sie aus dem Graben, ich gleich auch (Mein Hintermann wollte die Stiefel herausziehen, riss aber die […] ) Fast alle liefen nun oben heim u. ich als
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so ziemlich der letzte baarfuß, man sprang über die Laufgräben, fiel in die Granatlöcher und kam schließlich an Ort u. Stelle. Es war gerade nicht angenehm, barfuß zu laufen, aber es ging doch weich im Dreck, an manchen Stellen bei Draht od. Granatsplitter etwas kitzlig, meine Füße waren nur leicht verkratzt, aber schön sahen sie aus u. erst die weite Hose, Unterhose u. der Mantel, letzterer wog mindestens 50 [Kürzel für Pfund]. Es war etwa 2h nachts, da wir an Schwabentunnel kamen. Feldküche war zur Stelle, es wurde gleich Essen gefasst (dabei gab es auch etwas warmen Wein.). Ohne Stiefel hatte ich draußen keinen Wert, darum fuhr ich ohne weiteres mit der Küche nach Achevillers, bekam beim Aufsitzen noch ½ l Glühwein, der mir gut tat. Die Fahrt war auch sehr interessant, musste mich fest am Rauchrohr einhalten. ¾ 3 h - 4 h Fahrtdauer. In Achevillers angekommen, wanderte ich nun zu Fuß ins Revier u. wurde dort anstandslos aufgenommen, ohne bes. Verwunderg, denn tags zuvor war einer barfus u. ohne Hose (also mit Hemd) angekommen. Krank war ich nicht, aber da die Kompagnie mir weder Schuhe, noch Stiefel geben konnte, blieb ich 3 Tag im Revier u. ließ es mir gut gehen. Meinen Namenstag 1915 werde ich mir aber leicht merken können (Wanderung von der Stellung zum Schwaben-Tunnel und Fahrt nach Asseviller, am Tag auch Wäsche vom Mantel, Hose und Rock, in der Unterhose lief ich umeinander) 6. Nov. abends kam die Komp. zurück, mein Gewand ist wieder in Ordnung u. mit entlehnten Schuhen (die meinen sind mir untergegangen) stapfte ich mit nach Drocourt u. dann gings mit der Eisenbahn nach Douai. Sind hier 4 Tage, habe wieder Stiefel bekommen, prima, weich und passend, hoffe, daß ich mit diesen den Krieg überlebe. Hier haben wirs diesmal ganz schön, keinen Dienst. Eine große Kantine ist da, abends spielt hier Musik!
Bald (wenn Ihr den Brief erhaltet ist es schon geschehen) geht\'s jedoch wieder hinaus ins Ungewisse, besser ist es ja in Zukunft, weil wir Bayern mehr an der Stellung arbeiten (schanzen) als die Preußen. (die Laufgräben werden grob gereinigt u. es wird auch dafür gesorgt, daß ein solcher Zustand nicht mehr eintritt. Die Franzosen machen es übrigens gerade so schlecht oder noch schlechter wie diese.)
Wie bei uns Allerseelen war könnt Ihr Euch nun wohl ein bisschen vorstellen, nur traurige Gedanken habe, wie viele da in unserer Nähe im Schlamm und Regen, unbehandelt, schrecklich verstümmelt, manche waren dabei, von deren Tode man zuhause noch nichts wußte, so bei meinem Kollegen aus Lauingen Schlagbaum. Aber was nützt es da zu zweifeln. Es ist nun einmal so oder so aus […] Wenn es noch viele […], so werden doch die meisten nach erhofftem Sieg zurückkehren. Ich hoffe, daß ich unter den Lebenden sein werde. Inzwischen will ich leben, damit ich den Frieden genießen kann, dessen Wert ich nun vollkommen kenne. Die Sorgen und Mühen, die mir in Friedenszeit noch begegnen werden sind leicht zu ertragen.
Auf baldigen Frieden hoffend grüßt Euch
Euer Karl.
Douai, 8. Nov. 15.
[…]
Am 31. abends kamen wir in Stellg, den neuen Graben halten. Nun hatten wir wieder keine Unterstände, die Franzosen wohnten da nämlich auch nur in elenden Löchern, die bei Artilleriefeuer natürl. unbrauchbar sind und bei Regenwetter noch mehr.
1. Tag und vorhergehende Nacht schönes Wetter, Laufgraben trocken.
1. Nov. nachm. 4h Regen u. nun immerfort Regen.
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Der Boden wurde weich und saftig, von den Wänden fiel unaufhörlich Dreck, Sandsäcke rutschten herab, wo nun sich aufhalten, da half nichts, man musste im Graben stehen bleiben, am besten war Postenstehen, so man ein Zelt über sich ausgespannt hatte. Ein paar Löcher gewährten zur Not auch noch Schutz vor Nässe. Die ganze Nacht vom 1. auf 2. den ganzen Allerseelentag und die nächste Nacht immerfort Regen. Es sah geradezu schauerlich aus. Man stand fast bis an die Kniee im Schlamm, um u. um war man voll Dreck, selbst das Gewehr war vor demselben nicht mehr zu schützen. Wären die Franzosen gekommen, wir hätten wenig machen können. Noch minder als in der vorderen Stellung sah\'s in den Laufgräben aus; da reichte der Dreck über die Kniee. Ablösen am 2. Nov. war nicht möglich, so mussten wir noch 1 Nacht u. 1 Tg draus bleiben (3. Nov.) Zum Glück wurde es wieder schön Wetter. Wir konnten den Graben wieder säubern, aber die Laufgräben blieben voll. Um 8 h abends sollten wir abgelöst werden um 1 h nachts kam die Ablösung. Die Kompagnien hatten zum Durcharbeiten in den Laufgraben etwa 3 Std gebraucht und gingen teilweise auf freiem Felde. Nun mussten auch wir diesen schweren Weg zurück. Eine kleine Strecke gings, dann kam\'s aber arg. Vorn stockte es, da mühten sie sich ab um einen Hilflosen aus dem Dreck zu ziehen. Endlich gings wieder weiter, Schritt für Schritt, hinein bis weit über das Knie, das hintere Bein mit größter Anstrengung wieder heraus. Noch tiefer wurde der zähe Schlamm. Ich brachte das Bein wohl heraus, jedoch nur ohne Stiefel, so auch das andere Bein. Jetzt war ich gestellt, barfuß, auch die Socken verloren. Vor mir stiegen sie aus dem Graben, ich gleich auch (Mein Hintermann wollte die Stiefel herausziehen, riss aber die […] ) Fast alle liefen nun oben heim u. ich als
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so ziemlich der letzte baarfuß, man sprang über die Laufgräben, fiel in die Granatlöcher und kam schließlich an Ort u. Stelle. Es war gerade nicht angenehm, barfuß zu laufen, aber es ging doch weich im Dreck, an manchen Stellen bei Draht od. Granatsplitter etwas kitzlig, meine Füße waren nur leicht verkratzt, aber schön sahen sie aus u. erst die weite Hose, Unterhose u. der Mantel, letzterer wog mindestens 50 [Kürzel für Pfund]. Es war etwa 2h nachts, da wir an Schwabentunnel kamen. Feldküche war zur Stelle, es wurde gleich Essen gefasst (dabei gab es auch etwas warmen Wein.). Ohne Stiefel hatte ich draußen keinen Wert, darum fuhr ich ohne weiteres mit der Küche nach Achevillers, bekam beim Aufsitzen noch ½ l Glühwein, der mir gut tat. Die Fahrt war auch sehr interessant, musste mich fest am Rauchrohr einhalten. ¾ 3 h - 4 h Fahrtdauer. In Achevillers angekommen, wanderte ich nun zu Fuß ins Revier u. wurde dort anstandslos aufgenommen, ohne bes. Verwunderg, denn tags zuvor war einer barfus u. ohne Hose (also mit Hemd) angekommen. Krank war ich nicht, aber da die Kompagnie mir weder Schuhe, noch Stiefel geben konnte, blieb ich 3 Tag im Revier u. ließ es mir gut gehen. Meinen Namenstag 1915 werde ich mir aber leicht merken können (Wanderung von der Stellung zum Schwaben-Tunnel und Fahrt nach Asseviller, am Tag auch Wäsche vom Mantel, Hose und Rock, in der Unterhose lief ich umeinander) 6. Nov. abends kam die Komp. zurück, mein Gewand ist wieder in Ordnung u. mit entlehnten Schuhen (die meinen sind mir untergegangen) stapfte ich mit nach Drocourt u. dann gings mit der Eisenbahn nach Douai. Sind hier 4 Tage, habe wieder Stiefel bekommen, prima, weich und passend, hoffe, daß ich mit diesen den Krieg überlebe. Hier haben wirs diesmal ganz schön, keinen Dienst. Eine große Kantine ist da, abends spielt hier Musik!
Bald (wenn Ihr den Brief erhaltet ist es schon geschehen) geht\'s jedoch wieder hinaus ins Ungewisse, besser ist es ja in Zukunft, weil wir Bayern mehr an der Stellung arbeiten (schanzen) als die Preußen. (die Laufgräben werden grob gereinigt u. es wird auch dafür gesorgt, daß ein solcher Zustand nicht mehr eintritt. Die Franzosen machen es übrigens gerade so schlecht oder noch schlechter wie diese.)
Wie bei uns Allerseelen war könnt Ihr Euch nun wohl ein bisschen vorstellen, nur traurige Gedanken habe, wie viele da in unserer Nähe im Schlamm und Regen, unbehandelt, schrecklich verstümmelt, manche waren dabei, von deren Tode man zuhause noch nichts wußte, so bei meinem Kollegen aus Lauingen Schlagbaum. Aber was nützt es da zu zweifeln. Es ist nun einmal so oder so aus […] Wenn es noch viele […], so werden doch die meisten nach erhofftem Sieg zurückkehren. Ich hoffe, daß ich unter den Lebenden sein werde. Inzwischen will ich leben, damit ich den Frieden genießen kann, dessen Wert ich nun vollkommen kenne. Die Sorgen und Mühen, die mir in Friedenszeit noch begegnen werden sind leicht zu ertragen.
Auf baldigen Frieden hoffend grüßt Euch
Euer Karl.
Ansicht des Briefes
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