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Brief (Transkript)

Karl Linder an seine Eltern und Schwestern am 13.10.1915 (3.2009.0497)

 

Douai 13. Okt.15.


1.
Liebste Eltern!
u. Schwestern!

Endlich Zeit zum Schreiben. In der kurzen Zeit von 10 Tg. hat sich sehr viel geändert. Sie waren sehr anstrengend u. ließen mir den Krieg mehr miterleben als die ganze vorhergegangene Zeit. Von Euren Briefen u. Karten, die ich bis jetzt erhielt, sehe ich, daß Ihr mich noch in Mons en Chaussée wähnt. Inzw. werdet Ihr aber meine 3 Karten wohl erhalten haben.
Mein gegenwärtiger Aufenthalt ist Douai. Kamen gestern abend mit Bahn hierher, wahrscheinlich
in 2. Klasse
nur für 4 Tg.- Unser Kurs wurde plötzlich abgebrochen (1. Okt.) Da war in der Kantine bis 2.10. früh 3h kräftiger Abschied. Mittags marschierten wir nach Fleaucourt, dann jeder zu seiner Kompagnie, mußten noch in Stellung, kamen um 8h abends hinaus nach Fay. (Das 12. Regiment kam in den folgenden Tagen in die Stellung vom 20. Regiment.) Dort war ich noch diese u. die nächste Nacht, wußten, daß wir fortkommen werden, aber nicht wohin, manche meinten nach Serbien.
Montag (4.10.) marschierten wir ab 6. 7. 8. u. 5 Komp. Da Ich sah in Asseviller Rupert, er hörte mich auch rufen sah mich aber nicht mehr. Nach 4 Std. Marsch kamen wir nach Beaumont in die Gegend von Mons. Dort Quartier in einem Stadel (davon habe ich Euch eine Karte geschickt.) Die ganze Nacht den nächsten Tag bis 6. früh ¼ 3h. Marsch nach Peronne. Von 6 h saßen wir im Eisenbahnwagen u. dampften ab. Cambrai, Douai, Beaumont en Artois hier wurden wir ausgeladen u. das Bataillon marschierte weiter bis Arleux. Vor der Ortschaft (3 Std hinter der Front) Rast u. Essenfassen v. der Feldküche, darauf bis in die Nacht hinein Lager (im Walde flache Deckung) darauf Quartier in der Ortschaft, 2 Gruppen in einem Häuschen. Das Dorf hat kein Zivil mehr.
7.10. abends kamen wir in Unterstützung, 2 Stund zu gehen. Kamen durch ein ganz zerstörtes (ursprüngl. wohl sehr schönes) Fummc[?] Dorf. Nun kann ich nicht mehr ausführlich erzählen, es ist zuviel, was ich sah. Der Krieg haust hier furchtbar, man hat wohl schon oft gelesen wie es hier herum aussieht, aber es sehen ist anders. Unterstände gibt es hier nur sehr wenig u. schlechte, ein unterirdischer Durchgang (minierter Schacht) diente dem Bataillonsstab Telephonisten 3 Gruppen u. a. zum Aufenthalt, schlief da auf dem treppenartigen Aufgang. Das ganze Gelände (Höhenrücken (vor u. nahe der Lorettohöhe) um uns ist voll Artillerie. Der Boden ist aufgewühlt von Geschoßen u. voll von Waffen, Ausrüstungsgegenständen Schanzzeug
2. im Werte von vielen Tausend. Alles ist von Toten u. Verwundeten, Deutschen u. Franzosen zurückgelassen. Da gibts keine Zeit, dies zu sammeln. Wie alles verrostet und verschmutzt ist, könnt Ihr Euch denken. Dutzende (Hunderte) von Handgranaten, Gewehren, Patronen liegen im Schlamm, der Dreck ist so tief u. zäh, daß er einem die Stiefel auszieht. Unter anderem lagen auf freien Platz auch 5 Stck 22 cm Granaten (französische) noch in ihren Körben. u. an anderer Stellen lagen frei auf der zerschossenen Straße drei tote Grenadiere. 3 Mann von unserem Zug haben sie am 2. Tag beerdigt.
Im Laufgraben lag eingewickelt in Schlamm auf dem Gesicht ein Toter 23. Grenadier, daß Gewehr im Arm. Wo man hinsah jeder Baum geknickt, nur mehr ein Stumpf, jeder Fleck Erde aufgerissen, mächtige Granatlöcher. Ständig feuerten die Batterien, abwechselnd immer einige Schuß. Es war gefährlich heraus zu sein; kamen mehrmals in die Lage davonrennen zu müssen. Durch Zufall traf ich in der Unterstützg. vor dem Sanitätsunterstand Striegel Ludwig, besuchte ihn auch am 2 Tg. Er ist bei Oberarzt Dr. Bub von Babenhausen. Am 9. abends gings in vorderste Linie (1 Std.) durch einen engen Laufgraben, noch dazu den einzigen auf weite Strecke. Draußen alles in elendem Zustand, kein Unterstand, nur kleine Löcher. Die Wälle nur aufgeschüttet. Hier braucht man keine Unterstände, es wird Posten gestanden u. die übrige Zeit der Nacht geschanzt, nämlich ausgebessert, was die Franzosen zusammenschießen. Zum Glück war schön Wetter. Zu Essen hatten wir nur kalt Konserven, Brot und Feldflasche mit Wasser. Am 2. Tag früh wurde uns Kaffee hinaus gebracht (natürlich kalt, sie brauchten zum Hinaustragen 5 Std., das lohnt sich schlecht, wenn indessen man nur einen Becher voll bekommt, oder vielleicht das nicht, wie bei einer Hungerkur. Wenn man Kaffe im Artilleriefeuer trinken muss, kann man auf alles verzichten.)
1. Nacht: Heftiges Handgranatenwerfen, Artilleriefeuer über uns hinweg. Am Tag: erst ruhig von mittags 1 h an Artilleriefeuer von großer Stärke unausgesetzt 5 Std lang u. dazwischen Minenfeuer, ein furchtbares Getöse, sodaß einigen übel wurde.
Abends u. nachts ruhiger.
Aussehen der Stellung: ein großes Totenlager, halbvergraben u. ganz frei liegen die Leichen, selbst im Graben, genug damit.
[anderer Bleistift]
2. Tag: Bis 7 h annähernd ruhig, von 9 h an heftiges Artilleriefeuer der Franzosen, meist auf die Unterstützung, dann auf unseren Graben, ein ununterbrochenes Trommelfeuer, der Boden wankte beständig, die Ohren sausten, langsam verrann Stunde für Stunde von 1- 4 h war
3.
das Feuer am heftigsten. Die Granaten trafen immer besser an den Graben u. in denselben
7 Flieger leiteten in geringer Höhe das Feuer, sie konnten uns im Graben gut sehen ([Steno]). Dazu eröffneten die Franzosen ein gewaltiges Minenfeuer, hauptsächlich schickten sie Flügelminen (viele Torpedos) gleich 3-6 zusammen. Man sieht sie fliegen u. kann ihnen gewöhnlich ausweichen. Sie krachen furchtbar und schleudern die Erde 10-15 m hoch. Manche von uns wurden zugeschüttet, oder bekamen Kopfnüsse, ich auch eine, machte aber weiter nichts. Die schweren Granaten sah man ebenfalls fliegen, wie sie hereinsausten. Wir standen oder saßen im Graben u. schauten uns an, beobachteten ständig auch den feindl. Graben u. bewahrten unsere Gemütsruhe. Die Nase hatte auch viel zu dulden, die Leichen wurden nämlich vielfach aufgedeckt, Fetzen fortgeschleudert.
Endlich um ½ 5 h ließ das Feuer auf die vordere Linie nach, unsere Artillerie hatte inzw. eingesetzt, schoß herrlich und gewaltig zu unserer größten Freude. Wir atmeten erleichtert und waren auf den Angriff gespannt. Um 5 h kamen sie hervor, aber ich glaube nicht die Hälfte, manche streckten nur den Kopf heraus. 200 m rechts von mir aber kamen sie in großen Haufen u. waren im Nuh über dem Graben und hinter uns. Da wurde aber höllisch draufgefeuert u. sie kehrten um u. walzten zurück. Nur ganz wenige kamen in ihren Graben die meisten fielen noch vor demselben.
17 wurden von unserer Komapgnie gefangen, lauter Franzosen. Es dauerte noch gut 1 Std. bis wieder etwas Ruhe hereinkam, die Franzosen richteten ihren Graben wieder zurecht, wir schossen heftig hinüber, während sie uns Handgranaten verehrten.
Wir aber freuten uns. Bei Dunkelheit wurde das Bataillon abgelöst, verirrten uns noch und brauchten 6 Std bis Arleux. Andern Tag großes Lob von General d. I. Exz. R. v. Hylander, vom. Brigadegeneral u. v. Major; nachmittags Marsch 1 Std., nach Drocourt, dann mit Bahn hierher. Essen sehr reichlich, auch warmen Wein mittags bekommen zum Dank für unser tapferes Verhalten.
Es geht also gut, u. bin zufrieden, sorgt Euch nicht, Strapazen halte ich gern aus, hoffe, daß ich durchkomme, Sorgen helfen hier nichts, darum „wie Gott will!“
Herzl. Gruß
Euer Karl.
Paket 65 erhalten u. 67.; das große nicht, besten Dank, Zeitungen erhielt ich immer noch nicht, Zigaretten von […] vorerst noch nicht erhalten.
Kling Karl traf ich am 9. beim Ablösen.

 

 



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