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Brief (Transkript)

Karl Linder an seine Eltern am 20.07.1915 (3.2009.0497)

 

20. Juli 1915.


Liebste Eltern u. Schwestern!

Diesen Brief schreibe ich Euch in Herbecourt, wo wir seit 17. abends in Ruhe sind. Wir sind allein in einem Häuschen, von dem aber nur 1 Zimmer noch für einen nächtlichen Aufenthalt geeignet ist. Da liegen wir zu 10 auf altem Stroh eng aneinander. In der Mitte des „Saales“ steht als Luxusmöbel ein rundes Tischchen u. eine selbst verfertigte Bank, auf welcher 2 Leute mit etwas Bescheidenheit Platz haben. Die Tapeten der Wände sind zerrissen, die Wände selbst löcherig, überall bläst der Wind herein. Und dennoch ist es gut sein hier, haupts. wohl, weil das Wetter warm u. schön ist. Die ersten 2 Tage mussten wir vormittags u. nachmittags in die 2. Linie zum Schanzen, aber nachts hatten wir unsere Ruhe u. ich schlief da sehr gut. Heute Nacht 19. auf 20. war ich im wohligsten Schlummer, da stürzte plötzlich Untffzr. Löchle herein: „Alles marschbereit machen u. gleich antreten am Platze vorn. Da kam Leben in die Bude nachts um 1 Uhr. Kann nicht verhehlen, daß das Zusammenpacken des Tornisters und das Aufrollen v. Mantel u. Zeltes unter diesen Umständen aufregend ist. Ein Zuschauer würde sich da nicht mehr auskennen u. sich wundern wie in diesem engen Wirrwarr doch jeder seine Sachen in kürzester Zeit beieinander hat u. damit marschbereit ist.
Die Aufregung verliert sich bei den meisten, so auch bei mir bald, wenn man einmal sieht, daß man rechtzeitig fertig wird. Dann harrt man der Dinge, die da kommen. Diesmal konnte es nicht blinder Alarm sein, wir waren zu nah an der Front u. übrigens hatten wir den ganzen Vormittag heftiges Schießen (Kanonendonner) rechts von uns vernommen. Also dachten wir, daß wir als Unterstützung od. Reserve rasch in diese Gegend verschoben würden. Aber es kam nicht soweit. Wir brauchten nicht einmal mehr antreten, sondern durften im Quartier bleiben abschnallen u. weiterschlafen, bloß immer marschbereit mussten wir sein.
Natürlich war die Liegestatt nun nicht mehr so bequem, Zelt u. Mantel waren ja auf dem Tornister. Aber wir alle schliefen jetzt den Rest der Nacht und ein beträchtlichen Teil des Vormittags noch recht gut, wenngleich angezogen u. als Kopfpolster den harten Mukl ([...]).
Und so sind wir auch den ganzen heutigen Tag noch in höchster Bereitschaft u. noch solang bis anderer Befehl kommt. Gebraucht hat man uns also noch nicht. Die Franzosen werden wahrscheinl. auch so zu befriedigen sein. Morgen abend geht es wieder in die Kreidestellung, wo ich schon v. 2.-6. IV. war wie ich's erstemal in Stellung kam.
Dann geht uns die Marschbereitschaft wahrscheinlich nichts mehr an, sondern die abgelöste Kompagnie. Heute aber hatten wir den ganzen Tag für uns und haben uns richtig „beitzen“ können. Heute ist ja auch Euer großes Namenstagsfest v. lb. Mutter u. Retti. Habe gerade auch Euren Brief v. 17. erhalten u. Zeitg. v. 18. VII. die bis jetzt immer pünktlich erschienen ist. Besten Dank für den lb. Brief u. die guten Wünsche. Erwidere herzlichst die Grüße v. Frau Rees u. grüße insbes. auch Striegel Anton, Frau Dietmann, Frau u. Mary Holdenrieder, Kathis Arbeitgeber Guldin Frau Lehrer Reiser, Familie Jäger und alle Bekannte.
Es freut mich, daß Ihr so fleißig Beeren sammelt, wünsche nur, daß ich sie bald daheim essen könnte. Es wird aber wahrscheinlich noch zum Schicken kommen.
Hoffe, daß wir nicht fort müssen u. daß ich Euch bald wieder schreiben kann. Die Socken werde ich Euch später schicken, schreibt mir ob (sie) 250 g nicht überwiegen u. legt mir in meinem Brief noch 1 10 ₰ Marke bei
In diesem Brief habe ich eine Ansicht v. Laufgraben v. Herbecourt u. 2 Photographien von Rupert beigelegt. Im übrigen geht es mir immer gut, von Strapazen dürfen wir nicht reden, sie sind nicht der Rede wert im Vergleich zu dem, was die Truppen bei Arras u. in Flandern, sowie in den Vogesen u. in Rußland aushalten müssen. Oft muss ich mir denken, wenn ich nicht noch in andere Lagen komme kann ich später gar nichts vom eigentlichen Kriege erzählen, z.B. v. einem Kampfe, Angriff oder einer Abwehr eines solchen, habe darin noch gar nichts mitgemacht, kaum einen Franzosen gesehen.
Ein sonderbarer Krieg in dieser modernen Zeit. Alles versteckt, wenig Gefahr sichtbar u. doch nie sicher, weil Tod von unten, von vorne u. von oben stets droht. Bei uns die Landschaft im friedlichsten Aussehen, auch die Soldaten u. die Bevölkerung, wo anders die schrecklichsten Kriegsbilder.
In der Lehmstellung in der wir vom 13.-17. VII. waren, standen wir Posten vor dem Wall eines mächtigen Trichters, der am 22. durch Minensprengung unsererseits entstanden ist. Der Trichter hat eine Tiefe v. etwa 15 m u. einen Durchmesser v. etwa 25 – 30 m. Die Umgebung von 50 -100 m ist bei der Sprengung mit gut 1 m hoch Erde beschüttet worden. Sie ist aber schon mit Gräben durchzogen u. am Wall vor dem Trichter sind Schießscharten eingebaut. Die Franzosen sitzen aber am anderen Rand hinter dem Wald u. haben da Schießscharten zu uns herüber. Zwischen uns u. ihnen das große Loch. Entf. ist da überall angeschrieben 20-30 m. Passiert ist uns aber nichts, blos sind wir mehrmals naß geworden. Es ist nämlich schon längere Zeit recht windig, regnet öfters u. dann ist wieder schön Wetter, aber warm wie es im Juli sonst ist, haben wir selten, wird noch kommen.
Habe hier auch Pflaum v. Krumbach getroffen, hatte ihn nicht gekannt bis er mich fragte.
Herrn Reitmeyer werde ich schreiben.
u. Frau Rees auch bald.
Herzl Gruß Euer Karl.

[auf Bogen 2:]
Habe kürzlich meine primitive Eßgabel verloren, bitte Euch um eine, aber klein, handlich, wenn möglich ohne Holzgriff!
(Gesprengt wurde mit nicht weniger als ungefähr hundert Zentner Pulver.)

Möchte noch bemerken, daß zwar Schnaps oder Rum auch gut sind, aber daß es sonst nicht nötig ist, weil es doch das Geld nicht wert ist und auch nicht notwendig ist.

Noch besonders interessant kann ich Euch schreiben, daß ich auch Läuse in meinem Hemd gefunden habe, würde Euch gern einmal eine senden, leider aber kann man nur Feldpostbriefe bis 250 senden und so leichte gibt es bei uns nicht.
[Skizze Laus]

 

 



Ansicht des Briefes

 

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