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Brief (Transkript)

Fred A. aus Frankfurt/Oder an Horst H. nach [?] am 14.11.1957

 

Ffo. 14.11. [1957]

Lieber Freund!

Da ich heute Deinen Brief bekommen habe, indem Du ein Problem entwirfst das mir auf der Seele brennt, will ich Dir gleich heute die Antwort senden. Ich finde es gut, wenn man sich mit diesen Dingen auseinander setzt, doch die wichtigste Grundlage einer solchen Diskusion ist, daß man von der Idee überzeugt ist und auch an ihr mitarbeiten will. Das nun als Antwort:
Du begibst Dich auf die Ebene des sozialistischen Theaters und da ich von dieser Warte aus die bessere Sicht habe, will ich Dir zeigen, was ich sehe.
Sozialisierung ist gut auf allen Gebieten der menschlichen Belange, doch auf dem Gebiet der Kultur kann dies nicht vorgenommen werden, sondern da muß es sich von selbst ergeben. Doch man hat in diesen Werdegang eingegriffen und ihn damit empfindlich gestört. Die Kunst war von je her ihrer Zeit voraus und hat damit eine richtungsweisende Arbeit inne gehabt. Hier aber versucht man, das Gesicht der politischen Zeit allem was Kultur heißt aufzuzwingen und erreicht so gut wir gar nichts. Besehen wir doch die Tatsachen: Die Spielplangestaltung steht nicht nur unter staatlicher Kontrolle, sondern wird auch von dort befohlen. Was sind die Folgen: Die Besucherzahl geht zurück, das Einnahmesoll wird bei weitem nicht erreicht und die staatlichen Zuschüsse nehmen ungeahnte Formen an. Was wird getan: Eine Kulturkonferenz wird abgehalten, Stückeschreiber werden beauftragt, sozialistische Gegenwartsdramas zu schreiben und die Machwerke sollen dann, an Stelle der bisher wenigen westdeutschen Bühnenstücken, gespielt werden und das wird zur Folge haben, daß die Besucheranrechte noch mehr zurückgehen und damit die Situation der Theater noch mehr verschlechtert wird. Was sollte getan werden: Man sollte dem Theater das geben, was es braucht um lebensfähig zu seine, eine freie und lebendige Spielplangestaltung, die Partei sollte eine belehrende, nicht befehlende Funktion im Kulturleben einnehmen und dem Künstler soll erlaubt werden in einer freien und guten künstlerischen Atmosphäre an der Erziehung des Publikums zu einem, dem Sozialismus dienenden Theaters zu arbeiten. Man sollte endlich aufhören von einem sozialistischen Theater zu sprechen, sondern es so formulieren wie ich dies im letzten Satz getan habe. Diesen Weg zu beschreiten dürfte doch nicht schwer sein, doch ich glaube, daß man einfach Angst hat, daß die Kulturschaffenden eine etwaige Freiheit zu einer gegensätzlichen Richtlinie auswerten würden. Dies ist nicht so, sondern wir würden unsere ganze Kraft davon geben, das Theater als dienendes Instrument der großen Idee aufzubauen.
So, nun gehe ich auf die andere Seite des Theaters nämlich auf die Sicht des Publikums ohne das kein Theater denkbar ist. Wie sieht es da aus: Auch hier hat der Staat versäumt seiner erzieherischen Aufgabe nachzukommen. Man wollte dies zwar tun, doch auch hier hat man dies falsch angefangen. Die Tatsache sieht so aus: Sobald ein Zeitstück auf dem Spielplan erscheint werden die Anrechte nicht eingelöst und das Haus bleibt leer. Die Vorstellungen der Operette sind, wie auch das musikalische Lustspiel immer vollbesetzt. Uns gibt das zu denken, den Staat aber auch doch auf ganz anderer Basis, er zwingt das Theater diese Aufführungen zu streichen, weil angeblich keine Tatiemen vorhanden sind. Also ein offensichtlicher Zwang. Jetzt einen Sprung ins Kino. Woche der sowjetischen Filme: Es wurden Streifen gezeigt, die meines Erachtens sehr gut waren. Das Publikum blieb aus und die Kassen blieben leer. Jetzt läuft zum vierten Mal „[?] der Liebe“ und es ist keine Karte zu bekommen. Was wird befohlen, das spielen westdeutscher Filme wird fast eingestellt und somit wieder ein Zwang ausgeübt. Dies alles aus der Kulturkonferenz entnommen. Wie sieht also die Entwicklung aus: Man hat angeregt, kleinere und unrentable Theaterbetriebe zu schließen und dafür Kulturbrigaden einzusetzen die von Berlin gelenkt, Gegenwartsstücke unter die Menschen bringen sollen und somit eine staatlich gelenkte Geschmacksrichtung ohne Rücksicht auf das Publikum vorgenommen. Über diesen Weg zu diskutieren ist aussichtslos, da es dafür keine Worte gibt. Jetzt zu einem anderen und nicht unwichtigen Problem: Der kunstschaffende wird sehr oft mit Mißachtung und Mißtrauen bedacht. Mißachtung deßhalb: daß die arbeitende Schicht uns wegen unserer Geistesarbeit als Intelektuelle behandelt und wir haben oft das Gefühl als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Dies ist aber auch teilweise Schuld des Staates, der dieser Entwicklung nichts entgegen gesetzt hat. Es hat und wird immer geistesschaffende geben und daran kann auch eine Umwälzung der Gesellschaft nichts ändern. Im Gegenteil, es sollte doch so sein, daß mit Hilfe der Mitarbeit der Geistesschaffenden besser und sicherer erreicht wird. Jetzt zum Mißtrauen: Dies bringt uns der Staat entgegen indem er uns vorwirft, wir wären Gegner der Arbeiterregierung und versuchten die bürgerliche Linie in die Kultur einzuschmuggeln. Wenn dieser Vorwurf nicht so ernst wäre, könnte man darüber lachen. Dem kann man nur erwidern. Der Künstler kann nur aus einer Opposition heraus arbeiten und somit einem Staat dienen, wo man ihm diese nimmt ist jede künstlerische Arbeit ein tot geborenes Kind. Warum ist Schiller, Goethe, Shakespeare, Molière u.s.w. bis heute noch gültig, weil sie ihrer Zeit mit Opposition Dinge entnahmen, die der damaligen Entwicklung nur helfende Arbeit geleistet hat. Gehen wir in die jüngste Vergangenheit, Hauptmann, Ibsen – warum haben sie solche Werke vollbracht, sie habe ihre Zeit gesellschaftskritisch betrachtet, also auch hier Opposition. Ist es also verwunderlich, daß wir keine Gegenwartsdramatik haben, da diese Richtung einfach abgelehnt. In der ganzen kapitalistischen Welt gibt es sozialistische Dichter und Denker, nur bei uns sind diese nicht vorhanden. Also warum nicht auf diese zurück greifen, diese Stücke auf die Bühne gestellt würden unserem Staat nur helfen, aber angeblich ist dafür kein Geld da. Eine Armee kostet aber keine Hosenknöpfe. Warum sich diesen Dingen verschließen, weil man nicht wahrhaben will, daß auf der Gegenseite Kräfte am Werk sind, die laut und vornehmlich daß sagen, was die Welt aufhorchen läßt. Darum drüben eine große kulturelle Blüte. Es bedeutet wirklich keine Schwäche, wenn man sich dieser Stimmen bedienen würde um damit die eigenen zu erwecken. Warum diese falschen Schamgefühle, wo man doch sonst nicht so feinfühlig ist. Lieber läßt man sich darüber alles in die Binsen gehen. Es wäre wirklich bald an der Zeit, auf diese Dinge aufmerksam zu werden um dieser Abwärtsentwicklung entgegen zu wirken. Man hat doch auf anderen Gebieten so großes gebracht, weil die Arbeiter mitgeholfen haben und etwas davon verstanden haben, da sie unsere Belange noch nicht verstehen, sollte man auf unsere Mithilfe an der Kulturarbeit nicht länger mehr verzichten, sondern auf uns hören, denn wir wollen wirklich der arbeitenden Bevölkerung auf kultureller Ebene das geben, was die sozialistische Kunst ausmacht. Vertrauen zu haben ist keine Schwäche, Mißtrauen aber mit Gewalt zu überbrücken bedeutet alles zerstören was früher Volkseigentum war. Die Kultur ist immer das Gesicht eines Staates.
Ich möchte nicht in den Spiegel schaun.
Nun Schluß für heute, es grüßt Dich mit allen lieben Gedanken

Dein
Fred A.

 

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