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Brief (Transkript)

Fred A. aus Frankfurt/Oder an Horst H. nach [?] am 12.10.1957

 

Ffo. 12.10.57

Lieber Freund!

Draußen hängen Regenwolken am Himmel und ein unguter Wind treibt alles menschliche, was nicht unbedingt draußen zu hat, in die warmen Stuben. So sitze auch ich und da fiel mir ein, daß ich Dir noch einen Brief schuldig bin und so greife ich zur Feder und hier ist er. Anscheinend habe ich heute einen poetischen Tag, denn es wollen sich Sätze formen, die jeder Realität entbehren und in’s schwärmerische gleiten. Es wäre weiter nicht verwunderlich, daß solche dahin dämmernden Stunden den Hang zur Poesie freilaßen und das menschliche Denken beeinflußen. Die Gedankengänge solcher Stunden, so wertvoll diese sein mögen, bedeuten aber doch nichts gutes, denn hier zum Nachdenken kommen hieße Dinge die am besten unausgesprochen blieben auszusprechen, und ich glaube dies kann man nicht gutheißen. Seit einigen Tagen befinde ich mich in einer solchen Sträne und bewege mich dabei immer am Rande des Abgrunds, da ich laut hinaus schreien möchte um Einhalt zu gebieten diesem Treiben das nur das eine Ziel haben kann, nämlich den Untergang alles menschlichen. Ist man hier den blind geworden, oder glaubt man durch Anbieten aller oberflächlichen Dinge das denken der Menschen zu unterbinden. Ich weiß Du wirst mich nicht verstehen, denn ohne daß ich es wollte ließ ich mich verleiten diese Sätze zu schreiben. Ich will versuchen Dir zu erklären um was es geht: Ich habe in den letzten Tagen vier gute Filme gesehen: Lohn der Angst, Hexen von Salem, Hauptstraße und Marty. Die Reaktion des Publikums während und nach der Vorstellung war so erniedrigend, daß ich vor Scham fast gestorben wäre. Dies trifft vor allem auf den letzten Film Marty zu. Hier handelt es sich doch um echtes menschliches Gefühl und diese Tatsache reißt die Zuschauer zu folgenden Zurufen während der Vorstellung, mensch Dicker fick doch die alte, reiß ihr doch die Fetzen vom Leib und deren mehr. Es will sich mir fast die Feder sträuben indem ich dies schreibe. Kannst Du mich jetzt begreifen, warum ich aufgerüttelt bin bis in das tiefste menschliche Bewegen. Ist man denn in diesem Staat blind, sieht man nicht wie weit man schon gekommen ist und wohin dies führt. Dies ist nicht nur Frankfurt so, diesen Zustand findet man fast im ganzen Land. Es ist beschämend, wenn man bedenkt, daß die Arbeit von Künstlern aus allen Ländern auf diese Art und Weise zu nichte macht. Dies kann nur zweierlei zu Grunde haben. Entweder durch die Verdummung der Massen, die solche Filme nicht verstehen und diese dann auch ablehnen, beweisen wollen daß solche Filme eben keinen künstlerischen Wert haben und nur Filme aus der östlichen Welt diesen Bewertungen ausgeschlossen sind. Oder aber durch die Umwälzung der Gesellschaft haben sich die Gewichte so verschoben, daß das unterste Proletariat nach oben gekommen ist und jede gute Regung und Entwicklung im Keime erstickt. Welcher Grund auch zutrifft, es ist beschämend in einem solchen Land zu leben und Kulturarbeit zu leisten. Denn genau so unverständlich wie das Publikum solchen Filmen gegenüber steht, genau so ergeht es uns im Theater. Man arbeitet vier Wochen an einer Rolle, versucht eine echte Deutung des Problemes das den Dichter bewog zu klären, und möchte dann dem Publikum diese Deutung mitgeben. Dieses Unterfangen ist völlig nutzlos, denn für solche Dinge haben die Menschen von heute kein Verständniß mehr, denn freiwillig gehen sie ohnehin nicht in’s Theater sie werden durch staatliche Einmischung dazu gezwungen. Dies und so manches andere ist einfach nicht mehr zu ertragen und ich habe nur den einen Wunsch, meinen Beruf baldigst aufzugeben, denn solche Mißstände kann ich unter keinen Umständen mit meinem menschlichen und künstlerischen Gewißen vereinbaren. Ich habe oft versucht in Gesprächen mit Kulturfunktionären diese Probleme zu behandeln und bin immer auf taube Ohren gestoßen. Wenn ich jetzt die Waffen strecke und aufgebe irgend welche Hilfe zu leisten kann mir das niemand übel nehmen. Der Grundfehler liegt darin, daß man nicht auf Können beurteilt und herangezogen wird, sondern Maulsozialisten und großspurigen Rednern die von Kunst nichts verstehen die Plätze einräumt an die sie nicht gehören. Diesen Zustand findet man wohin man schaut. Hier gilt nicht der Grundsatz: Kunst kommt von können, sondern hier sagt man kunst kommt von Wollen und das ist grundverkehrt. Diese Verblindung führt eines Tages dazu, daß das Kulturleben einen Tiefstand erlebt aus dem es nicht mehr zu erretten ist und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß diese Entwicklung vom Staat gefördert wird. Es ist so jammerschade, wenn man bedenkt, daß Kultur bis her immer das höchste Gut eines Staates war und jeder Versuch dies abzuändern damit endete, daß dieser Staat an sich selbst gebrechen muß, und hier wird alles getan um dies zu erreichen. Das Theater war immer der Spiegel eines Landes und hier ist dieser sehr beschlagen. Zwar wird eine Kulturkonferenz abgehalten und so getan als ob man etwas tun wolle, aber das ganze ist ein Sand in die Augen streuen.
Es ist daher weiter nicht verwunderlich, wenn künstlerische Kräfte die ernsthaft bemüht sind, den Begriff Sozialismus mit Rat und Tat zu stärken dies unterlassen und den Weg des geringsten Widerstands gehen. Was übrig bleibt sind gewissenlose Subjekte die dem Staat nur schaden aber nicht nutzen. Noch wäre es Zeit diesem Treiben ein Ende zu machen, doch noch längeres warten hieße, der Kultur eine Grabstätte zu bereiten. So könnte man stundenlang weiterdiskutieren, aber wenn man bedenkt, daß dies alles im Zeitalter der künstlichen Erdsateliten fast keine Rolle mehr spielt und die Tatsache dieses künstlichen Planeten all diese Dinge überstrahlt, dann wundert man sich über nichts mehr.
Siehst Du, nun habe ich Dir einiges versucht zu erklären was mich bewegt und kannst Du mich jetzt verstehen wie es in mir aussieht, ich bejahe den Sozialismus und bin überzeugt davon, daß er einmal die Welt verändern wird, aber auf diesem Weg wird weder der Idee noch seiner Durchführung ein Weg gebahnt.
So nun habe ich mich erleichtert aber ich bin nach wie vor nicht von einer Änderung dieser Probleme überzeugt.
Für heute möchte ich den Brief beenden und bleibe mit besten Grüßen

Dein Freund
Fred A.

bitte wenden.

Das Maß meiner Leiden hat sich heute vermehrt, ich habe im F.D.J. Clubhaus wegen Boogie-Woogietanzen Clubverbot bekommen und zerbreche mir nun den Kopf, wohin ich mich wenden könnte um mein Recht zu bekommen. Du bist doch schon länger hier, weißt Du ob es Zweck hat sich dagegen zu wehren und wo ich das am besten tun kann. Bitte teile mir dies doch mit

Fred A.

 

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