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Brief (Transkript)

Friedel H. aus Gotha an Charlotte M. nach Göttingen am 11.01.1978

 

Gotha, am 11.1.1978

Liebe Charlotte!

Ich habe ja Zeit und kann Deinen Brief vom 3.1.78 auch sofort beantworten.
Vielen Dank erst einmal.

Zu den von Dir aufgeworfenen Fragen habe ich folgendes zu sagen.
Eine Reise in die BRD wird so bald nicht möglich sein, wobei das Wort „möglich“ eigentlich nicht richtig ist. Möglich ist schließlich alles, wenn man es ernstlich will. Es wäre aber eine außerordentliche psychische Belastung für mich, wenn ich nicht mein eigener Herr bin und in jeder Beziehung auf andere Menschen angewiesen bin. Zur Zeit gebe ich mir erst einmal Mühe zu erkunden, wo sich eigentlich mein Sohn Peter aufhält. Ich habe seit September 1976 keine Nachricht mehr von ihm, wenn ich es mir auch teilweise erklären kann, weshalb er nichts von sich hören läßt.
Sobald ich eine Nachricht habe, werde ich mich mit dem Gedanken etwas mehr vertraut machen, einmal zu fahren.

Zur Zeit habe ich noch einige „Strickaufträge“ aus Georgenthal zu erledigen, so daß es noch einige Zeit dauern wird, bis ich Deine Jacke fertig habe. Außerdem ist auch eine Jacke für Herrn B. in Arbeit, was ich aber bitte mit Vorsicht zu genießen, da ich seine Resonanz nicht kenne und eben auch deshalb nicht weiß, wie er solchen Dingen gegenüber steht. Mir geht es dabei nur darum, die von Dir übernommenen Kosten für Mama, wie Wäsche usw. etwas abzutragen. Sage bitte Herrn B. nichts davon, sondern schreibe Deine Meinung dazu, denn Du kennst ihn ja.

Mir ist nach wie vor einiges in den Verhaltensweisen unklar, so weit es Mama betrifft. Es steht ihr alles zur Verfügung und es bedarf nur eines Wortes ihrerseits, um evtl. Überschneidungen beim Kochen oder Waschen zu vermeiden. Ich würde in jeder Hinsicht zurücktreten, denn noch fällt es mir ja leichter, eine Sache oder Arbeit zurückzustellen. Ich habe auch genügend anzuziehen, so daß ich nicht immer meine „Lieblingssachen“ anzuziehen brauche, die dann logischerweise auch öfters gewaschen werden müssen. Denn Stricksachen ziehe ich selten mehr als einmal an. Bisher habe ich immer alles abends gemacht, aber das habe ich ja nicht mehr nötig. Eine Waschmaschine hätte ich mir sicher auch schon gekauft, aber Du weißt ja, wie es bei mir aussieht. Es dürfte nur einen Standort in der Waschküche im Keller geben, wenn es mir nicht gelingt, eine schmale WM aus der CSSR zu bekommen, die sich allerdings auch nur für kleine Wäsche eignet oder große Wäsche in einzelnen Stücken wäscht. Außerdem könnte sie auch bei mir mit Begeisterung im Bad waschen. Es steht auch ein Waschkochtopf zur Verfügung und bei unseren Waschmitteln ist es ebenfalls ein Leichtes, auf diese Art und Weise zu waschen. Ich stecke meine Wäsche in den Topf und bringe sie zum Kochen. Anschließend das Übliche.
Auch ständig heißes Wasser ist vorhanden!

Mit dem Kochen ist es von meiner Seite aus so eine Sache. Ich selbst kann vieles nicht essen wegen meiner Galle und ich fühle mich am wohlsten, wenn ich immer so ein klein wenig Hunger habe. So gerne ich einmal etwas kräftiges essen würde – ich habe dann mindestens zwei bis vier Tage Gallenschmerzen, die sich einmal abends zu einem furchtbaren Anfall ausgewirkt haben. Der Arzt mußte geholt werden – und dabei war ich auf die Nachbarschaft bzw. die Hausbewohner angewiesen. Obwohl es bestimmt nicht leise zugegangen ist und Mama auch etwas gehört hat, hat sie sich nicht sehen lassen. Eine ähnliche Sache war mal vor einiger Zeit, als ich sozusagen einen „Hausanfall“ hatte. Ich war dermaßen unglücklich ausgerutscht, daß ich erst einmal überhaupt nicht aufstehen konnte und dann über Monate hinaus große Schmerzen hatte und gehumpelt bin. Wenn sie mir auch nicht helfen kann, so wäre doch ein gutes Wort nicht unflott gewesen. Aber meine Mutter kennt nur ihre Krankheiten, die, wenn ich mit dem Elend allein in unserem Pflegeheim vergleiche, kleine Fische sind. Sie wird ja immer noch bewundert wegen ihrem guten Aussehen. Aber sie bildet sich ein, daß i h r e s immer am schlimmsten ist. Entsetzt bin ich deshalb immer, wenn sie von ihren eigenen Geschwistern spricht. Ich weiß dann immer nicht, ob es Schadenfreude ist, daß die „andern“ eben auch krank sind oder ob sie sich einbildet, daß das, was z.B. Tante Emma hat, nichts gegen ihr Leiden ist!

Auch in bezug auf Tante Martha hat sie eine wenig schöne Bemerkung gemacht. Sinngemäß kam zum Ausdruck, daß sie eben jetzt erst merkt, wie es ist, wenn man alleine ist und daß es ihr sicher schwer wird, mit all den Problemen, die ihr bisher Onkel Otto abgenommen hat, fertig zu werden. Auch dabei kam eine gewisse Schadenfreude zum Ausdruck. Jedenfalls habe ich es auf Grund der Tonart so empfunden. Ich weiß dann immer nicht, was ich antworten soll. Am letzten Sonntag hatte ich mich gewundert, daß sie schon so frühzeitig aufgestanden ist. Aber das hatte einen guten Grund. Anstatt mir einmal zu sagen, daß sie gerne mal nach Eisenach fahren würde, um Tante Martha „Guten Tag“ zu sagen, ist sie am Sonntag mit dem Willy um 10,35 Uhr nach E. gefahren, um evtl. noch Tante Martha auf dem Bahnhof vor ihrer Abreise zu treffen! Hat natürlich nicht geklappt. Wahrscheinlich ist Tante Martha früher gefahren. Ich kenne ja die Zugverbindungen nicht.

Um noch einmal auf das Kochen zu sprechen zu kommen: Ich hatte mir auch schon gedacht, ob es vielleicht besser wäre, einen Elektroherd zu kaufen und anstelle des Gasherdes anschließen zu lassen. Leider ist die Beschaffung eines E-Herdes bei uns noch nicht immer sofort, wenn einem der Gedanke kommt, möglich. Ich werde es aber doch einmal versuchen; so ein kleines bisschen Beziehungen habe ich ja. Der Gasherd ist sowieso nicht mehr im besten Zustand.

Es ist natürlich Unsinn heute über die damalige Entscheidung, nach dem Tode meines Vaters zu mir zu ziehen, zu polemisieren. Ich habe es gut gemeint und ich wollte auch nicht, daß einmal der Tag kommt, wo ich mich um einen Pflegeheimplatz bemühen müßte, wenn sie allein in einer Wohnung verblieben wäre. Gleichgültig, ob es noch die große Wohnung gewesen wäre oder eine kleinere. Die meisten Kinder sind bestrebt, die alten Eltern irgendwie unterzubringen und setzen dann alles in Bewegung. Das habe ich ja genügend persönlich in meiner täglichen Arbeit kennengelernt. Da ich demzufolge auch kenne, wie in den Dienststellen dann diskutiert wird, besonders wenn es Funktionäre sind, habe ich von Anfang diese Variante ausgeschlossen. Heute denke ich natürlich etwas anders darüber.

Die Auseinandersetzungen in den ersten anderthalb Jahren haben alle guten Vorätze meinerseits zu einem Nichts werden lassen. Hinzukam dann noch die Sache mit dem Dieter. Ich möchte die Mutter sehen, die so ohne weiteres hinnimmt, daß die gesamte Verwandtschaft informiert wird, daß eine „Anreise“ vorgesehen ist, nur diejenige weiß nichts, die letztlich doch einige Arbeiten dabei zu erledigen hat. Und das war im Sommer 1975 so.
Ich weiß natürlich nicht, was der Dieter so von sich gegeben hat. Auf alle Fälle muß man mir schon gestatten, dazu ein paar Worte zu sagen, zumal sich an diesem Tag noch einige andere Erscheinungen gezeigt hatten, die auch die Hanna nicht gerade begeistert hatten. Ich habe n i e m a l s gesagt, daß der Dieter mit seiner Familie nicht zur Mama kommen darf. Aber maßregeln lasse ich mich auch von meinen Kindern nicht – und das hat sich der Dieter erlaubt. Es war einleuchtend, daß ich dem Günter die ganze Sache gesagt habe, da er ja auch daran interessiert war, einmal mit dem Dieter zu sprechen. Aber der Günter ist ja in den Augen vom Dieter ein minderwertiges Subjekt. Ich wünschte nur eines, nämlich daß alle Familienverhältnisse so in Ordnung wären, wie beim Günter, wenn er auch nur Arbeiter ist. Günter ist nicht dumm. Er ist nur in einer sehr schlechten Zeit in die Schule gegangen – nicht nur für ihn, auch für mich waren sie schlecht. Günter ist aber derjenige, der zu jeder Zeit für mich da ist und auch für mich sorgt, wobei dieses Sorgen nicht materiell, sondern mehr ideell gemeint ist. Günter hat daraufhin an Dieter geschrieben. Den Brief habe ich nicht gelesen, nur vom Inhalt her hat ihn mir der Günter erläutert. Auf Grund seines sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinnes hat er sich genau so empört, daß ich nichts von dem Eintreffen in Gotha gewußt habe, wie ich selber.
Ich habe daraufhin zwei Briefe vom Dieter bekommen, die heute noch ungeöffnet bei mir liegen. Nur den Brief bzw. die Karte vom Dezember 1975 habe ich geöffnet, da ich aus dem Umschlag heraus gefühlt habe, daß es nur eine Karte sein konnte. Ich habe mir lange überlegt, ob ich diesen Briefumschlag aufmache, zumal ich ja die „Sparsamkeit“ in bezug auf Porto usw. vom Dieter kenne, daß eben doch etwas mehr drinstehen könnte. Und ich hatte mich nicht getäuscht.
Es ist nicht meine Art, familiäre Angelegenheiten mit meinen Kolleginnen zu besprechen. Aber diese „Karte“ habe ich einer Kollegin vorgelesen, zu der ich ein sehr gutes persönliches Verhältnis habe.

Die Adresse lautet: (Auf der Karte, nicht auf dem Briefumschlag) Frau Frieda H., geb. M., Gotha usw.
Text: Ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute zum Neuen Jahr wünschen Dieter und Familie.
Wir hoffen sehr, daß es Dir alles Widrigkeiten zum Trotz auch weiterhin gut geht und daß Du die kommenden Festtage gut überstehst. Außerdem hege ich die Hoffnung, daß sich ob der Eskalation M.scher Freveltaten gewisse Gemüter nun wieder etwas beruhigt haben. Das soll jedoch nicht besagen, daß wir beabsichtigen, in absehbarer Zeit bei Euch zu erscheinen und damit Euern irdischen Frieden zu stören. Der Gralshüter H.schen Erbgutes wird keine Motive mehr bekommen, symbolische Messer zu wetzen. – Nochmals viele Grüße von Dieter.

So – das wars! Ich war entsetzt. Günter hat bis heute vom Inhalt dieser Karte nichts erfahren. Ich möchte, daß nach den turbulenten Stunden, Tagen, Wochen und Jahren in meinem aufreibenden Beruf wenigstens in meiner engsten Familie Ruhe und Frieden ist. Was wäre wieder geworden, wenn ich diese Karte dem Günter hätte zu lesen gegeben!

Nicht vergessen habe ich auch die Sache am 80. Geburtstag von Mama. Ich hatte mir freigenommen, habe einen Präsentkorb von nicht wenig Geld gekauft, habe eine Pute gekauft und gebraten und sonstige Kleinigkeiten besorgt, damit evtl. Gäste versorgt werden konnten. Aber mich hat man vor die vollendete Tatsache gestellt, daß der 80. Geburtstag beim Willy gefeiert wird! Ich durfte jedoch den Herrn Pfarrer empfangen und mich doch im Grunde genommen blamieren, da ja auch die Volkssolidarität gekommen war, die gratulieren wollte. Aber was tuts – die halbe Pute habe ich weggeworfen, da letztlich keiner eine solche Menge essen kann alleine.

Wegen einer andern Lampe werde ich mich bemühen. Ich hatte jedoch immer den Eindruck, daß sie gar keinen Wert auf eine hellere Beleuchtung legt. Wenn sie nämlich in das Wohnzimmer kommt, hält sie immer die Augen zu bzw. abgedeckt.

Wenn man mir auch einmal das Wort gönnt und mir Bescheid sagt, daß zum Geburtstag Besuch kommen möchte, dann würde von mir aus alles geregelt. Aber ich kann es mir nicht mehr leisten, für nichts und wieder nichts einzukaufen und anschließend in den Abfall zu werfen. Niemals habe ich mich in irgendeiner Form geäussert, daß der Dieter nicht mehr kommen kann. Nur Bescheid sagen sollte man mir. Und das ist doch wohl nicht zuviel verlangt!

Meine Rente stimmt leider! ich kriege zwar noch eine kleine eigene Zusatzrente, nämlich zuerst 27,50 M und ab 1.9.77 67,- M. Das hat aber nichts mit der sogen. Staatsrente zu tun. Obwohl ich über 24 Jahre allein im Staatsapparat gewesen bin, die Jahre in der SV garnicht mitgerechnet, die aber ebenfalls mit angerechnet werden können, habe ich anderthalb Jahre und zwar von April 1968 bis Oktober 1969 nicht direkt im Staatsapparat gearbeitet, sondern in einer nachgeordneten Dienststelle, nämlich im BHI am Hauptmarkt. (Nachgeordnete Einrichtung des Rates des Bezirkes Suhl) Und als die neue Altersversorgung für die Mitarbeiter im Staatsapparat eingeführt wurde, hatte ich bis zum Rentenalter nur noch knapp 2 Jahre – und keine fünf! Ich bin eben zu früh geboren. Aber deshalb gehe ich nicht unter. Zunächst werde ich noch etwas arbeiten und ich bin ja bescheiden. Ich bin schon zufrieden, daß es meinen Kindern gut geht. Das kann ich vor allem in bezug auf Günter und auch auf Bärbel sagen. Wie es dem Peter geht, weiß ich leider nicht. Seine Lebensauffassungen gehen weit über die von uns auseinander und ich werde mir auch keine Mühe geben, mich diesen „Prinzipien“, deren Grundlage leider bereits hier in Gotha bzw. Schnepfenthal gelegt wurden, anzupassen. Ein jeder ist seines Glückes Schmied !

So – nun soll es zum Ende gehen. Mama gibt mir monatlich, was Du sicher weißt, 25,- M. Zu Beginn hat sie mir 20,- M gegeben. Meine Miete beträgt knapp 60,- M. Für Licht und Gas mußte ich in den letzten Jahren im Durchschnitt 35,- bis 40,- M bezahlen. Der Verbrauch 1977 liegt bei Elektroenergie im Jahr bei über 3000 kWh zuzgl. Gasverbrauch und Grundgebühr. Es ist also eine ganz schöne Menge, wenn wir auch nur 8 Pfg. pro kWh bezahlen brauchen. Aber ich bitte Dich, wegen dieser Sache zunächst nichts weiter zu unternehmen. Es wird schon einmal klappen, daß ich es selbst sage. Abgesehen davon, daß meine Mutter manchmal über bestimmte Kosten, wie Malerarbeiten usw. sehr seltsame Vorstellungen hat. Ich habe auch meine Wohnung auf meine Kosten machen lassen, was mich ebenfalls fast 1000,- M gekostet hat. Sie hat mich zwar mal gefragt, ob sie etwas bezahlen muß, was ich aber verneint habe, weil ich den Eindruck hatte, daß sie durchaus nicht daran denkt, denn sie ist ja „Rentner“ – und da kann man ja nichts verlangen. Laß es sein – ich habe mich daran gewöhnt, daß ich die melkende Kuh bin und so lange sie noch lebt, werden von mir aus keine Schwierigkeiten gemacht.

Das ND lese ich zu Hause nicht mehr. Und auf die Ausgabe vom 9.11.77 kann ich mich selbstverständlich nicht mehr entsinnen. Das waren die schlimmsten Tage meiner Berufstätigkeit. Ich war froh, als der 30.11. herangekommen war.

Nun will ich Schluß machen. So langes Geschreibe war nicht vorgesehen. Aber ich habe ja Zeit.

Sei herzlich gegrüßt, auch Herr B., von Deiner Schwester

Friedel

Entschuldige die Schreibfehler. Aber ich schreibe lieber + schneller + besser auf einer großen Schreibmaschine, anstelle der kleinen „Erika“!

 

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