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Brief (Transkript)

Ute B. aus Ulm an Annegret S. nach Ost-Berlin am 28.03.1986

 

28.3.86

Meine liebe Anne!

Heute ist Karfreitag, und das ist doch immer ein recht „eigenartiger“ Tag! Wir wohnen hier ziemlich nahe an der kath. Kirche. Normalerweise bimmeln da laufend die Glocken, und heute ist es totenstill. Früh rennen die Kinder mit Karfreitagsratschen durch die Straßen, u. 15.00 sind viele Leute ganz schwarz angezogen zum Gottesdienst gegangen. Das bewegt mich jedes Jahr neu, u. man bekommt ein schlechtes Gewissen, wenn man anderes tut. So waren Jork u. ich heute bei herrlichem Sonnenschein in einem Tal der schwäb. Alb wandern. Wir wußten da eine Stelle, an der zu Hunderten die Märzenbecher blühen. Und auch heute waren sie pünktlich da, über ganz vertrocknetem Laub verbreiteten sie ihre Schönheit.
Aber nun endlich möchte ich Dir herzlich für Deine lieben Geburtstagsgrüße danken. Bes. gefreut habe ich mich wieder über Deinen langen Brief, er ist so interessant u. ich habe ihn gerade wieder gelesen u. so das Gefühl, mit Dir gequasselt zu haben. Ja, hab auch vielen Dank für Dein Päckchen, die 2 grünen Deckchen sind allerliebst, u. ich habe natürlich Verwendung dafür. Wahrscheinlich benutzen wir sie demnächst als Sets, u. da würden sie die beiden roten Bastdeckchen von Dir mal ablösen. Vielen Dank dafür und auch für die beiden Bücher, die „Märkischen Forschungen“ habe ich mir für die kommenden Tage zurechtgelegt.
Mein Geburtstag ist diesmal gar nicht ins Gewicht gefallen. Wir waren 4 Tage vorher im Allgäu u. sind etwas langgelaufen. Wir hatten Glück mit Wetter und Schnee u. so hat es auch Spaß gemacht. Und einen Tag später sind wir dann – sogar zusammen mit meiner Mutter – zu Jorks Mutter gefahren, um deren 70. Geb. zu feiern. Aber mit mehreren Kindern, Enkeln u. teilweise deren Freunde gibt’s recht unterschiedliche Meinungen u. viele Probleme. Und die jetzigen polit. Richtungen werden mit gleicher Hartnäckigkeit wie außen auch innerhalb der Familie betrieben. Keiner hört dem anderen zu, geschweige er hätte Verständnis. Und die Demokratie wird von den lautesten Schreiern in die Ecke gestellt. Es ist z.Zt. zum Verzweifeln!!
Und dabei – finde ich – ist so ein großer Unterschied zwischen dem, was in den Medien verbreitet wird und der Wirklichkeit. Z.B. gibt’s bei uns doch angeblich zu wenig Babys. Unsere Blutbank hat ca. 220 Mitarbeiter, davon sind 27 schwanger. Das reicht doch??
Ja, bei meiner Mutter ist das Sehen sehr schlecht u. damit alles recht anstrengend für mich, aber meistens ist sie froh, daß sie mich hat u. das Verhältnis gut. Jetzt haben wir gerade Frühjahrsputz hinter uns, wobei ich vieles zu gründlich gemacht habe!!
Daß Deine Gesundheit Dir zu schaffen macht, tut mir sehr, sehr leid. Ich wünsche Dir, daß Du Dich doch wieder gut in ein teilweises Berufsleben eingliedern kannst u. halte Dir für den evtl. Umzug den Daumen. Solltest Du aufgrund Deiner Invalidität mal gen Westen reisen, dann wärst Du hier jederzeit herzlich willkommen, aber die Strecke ist dummerweise sehr weit. Na, irgendwann wirst Du es mal schaffen.
Sei nochmal sehr herzlich bedankt und vielmals gegrüßt – auch von Jork –
Von Deiner Ute.

 

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