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Brief (Transkript)

RIchard H. aus Waiblingen an Alfred W. nach Leipzig am 18.01.1948

 

Waiblingen, 18.1.48

Lieber Alfred, liebe Ruth u. Hannelore!

Ich will vor allem versuchen in unseren Briefwechsel etwas Ordnung zu bringen. Wir erhielten Deine Br. vom 30.11., 21.12. u. 5.1. Natürlich auch die Betten ganz unerwartet schnell und auch das Päckchen mit dem Buch. Ich schrieb von hier am 9.11. u. 22.12. Dein Brief vom 30.11. erreichte uns erst heut, weil er noch nach Liekwegen ging und von dort von meiner Mutter in einem Päckchen nachgesandt wurde, das uns erst heut erreichte. Für die Briefe und anderen Gefälligkeiten also vielen Dank. Ganz besonders für das schöne Buch. Du hast einen außerordentlich guten Griff getan, ausgerechnet den XI. Band zu wählen. Es ist schwer Bücherwünsche zu äußern, weil ja das meiste doch nicht zu haben ist.
Mit dem Bauerntum in der Grafschaft war es schon so wie Du vermutest. Wir haben ja nichts zu tauschen. Seid Ihr nun wenigstens zu Einkellerungskartoffeln gekommen? Nach Deinen Rationssätzen steht Ihr Euch nicht schlechter als wir. Auch bei uns gibt es nicht belieferte Marken in Menge. Unsere Marken gelten für 4 Wochen = 28 Tage sollen aber auch an Euer Dekadensystem angepaßt werden. Der Normalverbr. wurde je Periode bis jetzt beliefert mit: 10 000 gr. Brot, 150 gr. Margarine oder 120 gr. Schmalz, 400 gr. Fleisch, 500 gr. Zucker oder Marmelade 62,5 gr. Käse (nicht zu vergessen!) 1000 gr. Nährmittel, 300 gr. Fisch u. 1 l Magermilch. Schulkinder sind 2 Klassen von 6-10 u. 10-18 Jahre. Die Jüngeren davon bekommen je Monat außer dem Normalsatz 250 gr. Nährmittel oder Pudding, 200 gr. Fleisch, 50 gr. Fett und ½ l Magermilch sowie 125 gr. Zucker. Die Älteren bekommen noch etwas mehr Hauptsächlich Brot. Die Sätze sind uns nicht genau bekannt. Bei den Erwachsenen besteht noch ein verworrenes Zulagenunwesen je nach Beschäftigung. Das sind die Zulagekarten für Normal-, Teilschwer-, Schwer- und Schwerstarbeiter sowie für Bergleute. Mein Bruder als Setzer erhält z.B. Normalarbeiterzulage je Woche 50 gr. Fleisch, 25 gr. Fett, 500 gr. Brot u. 1000 gr. Kartoffeln theoretisch auf dem Papier. Meine Zulagekarte als Metallarbeiter ist Teilschwerarbeiterkarte. Wir bekommen je Woche 100 gr. Fleisch, 50 gr. Fett 250 gr. Nährmittel, 775 gr. Brot und 1000 gr. Kartoffeln theoretisch! alle 4 Wochen 62,5 gr. Käse, 62,5 gr. Zucker. Die anderen Karten steigern sich dann immer etwas sodaß sich der Bergmann am besten steht und wohl als einziger einigermaßen normal lebt. Wir haben noch im Hannoverschen pro Kopf 2 Zentner Kartoffeln eingekellert. Die hiesige Bevölkerung bekam nur 1 Ztr. Wer hier „seinen“ Arzt hat, „reist“ natürlich noch auf Krankenzusatz und das sind nicht wenige von den Altbürgern. Ich bekomme als VVN-Mann die Teilschwerarbeiterzulage. Es heißt, daß alle Zulagekarten gekürzt werden. Laut Tagespresse sollen die Normalverbraucher 2 Monate (zugunsten Rhld.-Westfl.) auf Fett verzichten und dafür mit der doppelten Zuckerration beliefert werden. Du siehst, daß ein Vergleich recht schwierig und kompliziert ist. Man macht obendrein in der Presse schon mieß, daß die Rationen gekürzt werden und Du weißt von den vielen Streiks im Westen, weil die Marken nicht beliefert werden. Das Protokoll=M ist ja auch bereits ein so schönes Alibi damit alle Welt weiß wer schuld ist, wenn das Volk hungern muß. Wie ermunternd ist da Deine Bemerkung mit den Laternen.
Deinen [?]sack haben wir noch hier er wird aber jetzt sofort abgesandt. Als Nichtraucher fallen mir erst jetzt die Rauchwaren ein. Männer erhalten also hier im Westen alle 6 Wochen 40 Zigaretten oder das Equivalent in Tabak oder Zigarren. Frauen die Hälfte. Ich weiß aus der Presse, daß auch hier der schwarze Markt blüht, bin aber über die entsprechenden Preise garnicht informiert. Wir sollen uns auch im klaren sein, daß der Schwarzmarkt solange bestehen bleibt, als Mangel besteht.
Ja, ich schreibe mit Toni und auch Ludwig S. die mir beide jedes Mal auftragen alle Bekannten zu grüßen. Toni ist in der Tat von Fr. aus blind über die Grenze gegangen. Er ist wieder sehr emsig in seines Vaters Geschäft wie er schreibt. Beide wollen mich hier gelegentlich umstoßen, wenn sie sich nach Neckerwein umsehen. E. hat mir auch eine Neujahrskarte eigener Produktion (Linolschnitt!) geschickt. Aber er ist bei mir etwas unten durch, denn ich hatte doch Sachen für ihn mitgebracht und per Einschreibe zugesandt, ohne, daß er nötig hatte, diese zu bestätigen. Meine beiden Sorgenkinder sind R. (Bernburg a.d. Saale, [Straße und Hausnummer]) und Fritz M. Beide schrieben mir im August je eine Karte auf die ich Ihnen noch Antwort schulde, aber sie sollen jeder dafür einen schönen Brief haben. Versuche doch einmal an Gerh. oder Hans ranzukommen. Schreib mir auch wieder von B. Auch von Rudi H. habe ich seit langem einen unerledigten Br. in der Mappe, aber er wird ebensowenig wie andere vergessen. Ich hatte eben durch den Umzug viel Unordnung und komme erst so langsam wieder klar. Ich lese auch mit Interesse was Du von S., H. schreibst. Grüße die Brüder nur recht ordentlich. Ist es nicht ein Trauerspiel, daß Helmut R. so versauert. Was soll man da von „kleineren“ verlangen? Fritze K. muß immer etwas Nachhilfe haben. Das ist nur ein halber Genosse und ich hoffe, daß er in der SED Umgebung bald ein ganzer wird.
Hans H. schreibt, daß er wieder in Berlin bei der Polizei ist und sich wohl fühlt. Er hofft bald eine Wohnung zu bekommen. Ich bin dran! Otto K. macht sich täglich mit seinem LKW hundemüde, sodaß es zu nichts weiterem reicht. Er will mich gelegentlich mit dem Wagen besuchen. Ich war mit Erna bei Wilh. H. in Esslingen. Prima Leute. Sie haben uns obendrein bis auf weiteres mit einem kl. Ofen ausgeholfen der uns sehr mangelte. Auch seine [?] ist echt ein ganz brauchbarer Kerl.
Ich habe eine ganze Reihe alter Breslauer Kumpels aufgespürt, die meisten in der ruß. Zone. Mit einigen schreibe ich. Von Otto K. erhielt ich beifolgende Karte. Ich werde ihm schreiben. Du wirst sicher auch ein paar Worte für ihn finden. Erich E. hat an H. geschrieben, daß er am Arbeitsamt ist, viel zu tun hat. Beschäftigung macht aber Spaß.
Meine Angelegenheit entwickelt sich zur Zufriedenheit. In der Arbeit geht alles gut. Mit Zulage haben sich die Brüder noch nicht gerührt. Ich habe schon viel gelernt und mich gut eingearbeitet. Anfang Febr. schickte mich die Fa. in ein Nachbarwerk in Esslingen zur Motorschule. Lernen kann ja nie verkehrt sein. Die machen also mit mir als Kolonnenführer ernst. Leider lassen die betrieblichen Zustände sehr zu wünschen übrig. Von 11 Betriebsräten sind 10 unpolitische Flüchtlinge. Von der Partei sind auch ein paar Mann hier, aber kein Zusammenhalt. Das Gute ist die Mittagsverpflegung ohne Marken, die ganz ordentlich und eine große Hilfe ist. Hin- und wieder gibt es auch Ami – Sachen was auch nicht zu verachten ist. Das Arbeitstempo ist gerade in unserer Abteilung ganz beachtlich und leider sind die betreffenden Arbeiter nicht die Nutznießer ihrer ganzen Anstrengung, sondern mir scheint ein riesig aufgeblähter Angestelltenkörper vorhanden zu sein. Noch arbeiten wir nur 5 Tage, was mir sehr sympathisch ist (42 Std!) Mein Arbeitsweg ist nicht weit nur etwa 15 Min. Am Bhf. wohnen wir auch sehr nahe.
Die Wohnungsangelegenheit glättet sich auch. Die Stadt will nach meiner Wohnungsklage nun mit mir einen Vergleich schließen. Ich bin bereit bei förmlicher Zuweisung der jetzigen Wohnung und Übernahme der Gerichtskosten durch die Stadt. Bei VVN habe ich einen Wiedergutmachungsantrag eingereicht und ich hoffe von dort auch bevorzugt mit den dringensten Möbeln beliefert zu werden. Wir jagen beim Wirtschaftsamt noch hinter einem Koch-Herd zum Heizen her bis dahin muß der geliehene Sparherd helfen. Meine Eltern haben uns Weihnachten – Neujahr besucht. Die Freuen sich natürlich auch, wenn wir uns wieder langsam auf die Beine stellen. Im Febr. sollen wir von VVN ein Radioapperat bekommen. Hast Du einen? Ich glaube, daß wir mit dem Umzug ganz gut getan haben und daß sich wenigstens der persönliche Kram zum Guten entwickeln wird.
Mute dem Jahr 48 nicht zuviel zu! Es wird kaum ein Entscheidungsjahr. Wie es zum Strich kommt interessiert auch mich sehr. Ich stimme mit Dir überein, daß es für uns, wies auch kommt Vorwärts gehen muß. Ich kann mir bis jetzt bei bestem Willen noch nicht vorstellen mit Dir wie mit einem Ausländer schreiben zu müssen.
Zudem ich hoffe, daß Ihr Euch von den Widerwärtigkeiten nicht unterkriegen laßt, grüße ich Euch alle drei recht herzlich von

Richard, Erna u. Bärbel

 

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