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Brief (Transkript)

Christa G. aus Dresden an Gerda Z. nach Karlsruhe am 22.05.1986

 

Dresden, den 22.5.86


Liebe Frau Z.!
Inzwischen haben Sie hoffentlich meine Drucksache bekommen. Für Ihren lieben ausführlichen und sehr interessanten Brief herzlichen Dank. Während der Kur war es nicht möglich, Radio zu hören und in der Zeitung stand fast nichts, sodaß man von den Geschehnissen gar nichts mitbekam. Was man bei Ihnen vielleicht etwas hochspielt, wird bei uns bagatellisiert. Man hörte von irgendwelchen Werten überhaupt nichts und alles wird weiter verkauft wie bisher. Sehr erschreckt haben mich die Berichte über die aggressiven Demonstrationen in Wackersdorf! Wenn sich die eigenen Leute mit solchem Haß und solcher Gewalt begegnen, dann ist für die Völker untereinander mit viel Schlimmeren zu rechnen. Was wird denn aus Hilkes Klassenfahrt? Ihr Canadischer Gast wird von den Deutschen sicher keinen guten Eindruck bekommen, wenn sie in diese Hektik hineingerät, aber Sie werden es dem Mädchen sicher so schön wie irgend möglich machen! – Die Kur hat mir sehr gut getan, ich kann wieder viel besser laufen, auch mal einen richtigen Spaziergang machen usw. Ich hatte vorher beinahe die Hoffnung aufgegeben, nochmal ein normales Leben zu führen oder verreisen zu können. Aber jetzt hoffe ich doch, so um den 4.7. nach Karlsruhe zu Frau W. und am 8.7. nach Stuttgart fahren zu können. Ich bin sehr gespannt, von Ihrem „urigen“ Aufenthalt näheres zu hören. Meine Erdbeeren im Hausgarten blühen schön. Leider war die Obstbaumblüte schon vorbei, als ich wieder kam von der See. Dort fing alles erst an. Einmal war ich sogar ein Stück im Wasser, aber zum Schwimmen war es noch zu kalt. Hier wurde ich von meinem Doktor freudestrahlend abgeholt, jetzt ist er wieder fast jeden Mittag mein Gast. So habe ich wenigstens eine Aufgabe. Für Hilke bekam ich heute etwas Schönes, ich schicke es demnächst. Morgen wird unsere Freundin Frau F. beerdigt. Ich traf sie gerade noch lebend und bei Bewußtsein an, als ich zurück kam, dann sprach sie nicht mehr. Je älter man wird, umso einsamer wird man. Aber in der Nachbarschaft bin ich für die Kinder zur „G.-Omi“ ernannt und begehrt als Baby-Sitter. Hoffentlich konnten Sie sich ein bißchen erholen?
Sehr herzliche Grüße, auch an Ihre Familie!
Ihre
Christa G.

 

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