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Brief (Transkript)

Erna B. aus Borgsdorf an Erica O. nach Hamburg am 20.08.1954

 

Borgsdorf den 20. August 54

Meine liebe Erica!
Heute bin ich schon den ganzen Tag in Aufregung, deshalb muss ich das auch gleich los werden, sonst kann ich nicht einmal schlafen, denn, nein, nein, das Paket ist nicht da, aber die Post kam heut früh mit einem Formular, das ich mir durchlesen durfte, übrigens sollt Ihr das auch bekommen, nämlich dass das Paket beschlagnahmt ist, weil wir das gewerblich betrieben haben, inhaltlich, es war anders ausgedrückt, ich war natürlich auf der Palme, und hatte nichts eiligeres zu tun, Deine Karte mitzunehmen in der Du ausdrücklich geschrieben, dass die Pakete als Geschenk gedacht waren, für den Urlaub und zum Geburtstag und nach der [?] nach Berlin am Schlesischen Bahnhof zu fahren. Sehr höflich und liebenswürdig erklärten sie mir aber, dass sie festgestellt hätten, dass die Pakete von einer Organisation stammten und nur durch Privatadressen getarnt waren, diese Pakete müssen einen Warenbegleitschein haben, da das nicht der Fall war und sie also, nicht genehmigt, in die Zone befördert wurden, wurden sie beschlagnahmt und Altersheimen und Kinderheimen übergeben, ich hätte eben Glück gehabt, das ich ein Paket erhalten habe. Ausserdem brauchten wir ja nicht hungern, würden also das nicht brauchen. Ich sagte ihm darauf, gerade wir in der Zone hätten doch sehr kleine Lebensmittelkarten und mit 90,- M Wirtschaftsgeld könnte man nichts im HO Geschäft kaufen, ich glaube nicht, das diese Leute damit auskommen müssen, aber hier ist es ja besser schweigen. Er hat sich ja die Korrespondenz sehr genau durchgelesen, vielleicht dachte er, er könnte mich noch als Spion entlarven. Übrigens war der Zucker im 1 Paket geöffnet und wieder zugeklebt. Jedenfalls ist das Paket verloren. Wir haben ja grosse Lust uns an höhere Stellen zu wenden, besser ist es blos man bleibt unbekannt.
Bei Willi im Betrieb werden wieder umgruppierungen vorgenommen, Willi ist nur noch Hilfsarbeiter und bekommt 37,- M weniger Gehalt, damit ist er nicht zufrieden und will sich nach einer andern Stellung umsehen, ich fürchte blos, er kann dann wieder mengenmässig die Arbeit nicht leisten, am Gericht hat er keine Norm zu erfüllen, also was mit uns nun wird steht nur in den Sternen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich auch wieder arbeiten muss, denn mein Geld reicht gerade einen halben Monat, da kann ich mich einrichten, es wird nicht anders, an Schuh besohlen und so weiter ist gar nicht zu denken, dann leben wir noch von den Eiern. Jetzt sind zwei Hühner gestorben, weil ich gar keine Körner zum füttern hatte, der Kropf war voll von Brot und Nudeln und Luft regelrecht aufgeblasen, innere Verblutung, da muss was geplatzt sein. Ich bin dann nach Westberlin gefahren und habe Körner gekauft [Pfund] 1,50 M Ost, auf die Dauer ist das nicht möglich, da haben wir nichts mehr zu essen. Hier steht das Korn noch auf dem Feld, wächst aus, verfault, weil es alle Tage regnet, was soll das blos werden, man bekommt wirklich angst.
Deine Karte habe ich auch bekommen. Dein Geburtstagsgeschenk ist gekauft, da Ihr aber schon am 28.8. reist, schicke ich es lieber am 1.10. ab, damit es nicht etwa so lange im Briefkasten liegt.
Wir wünschen Euch recht gute Erholung und gute Reise, in Gedanken begleite ich Euch,
Herzliche Grüße Erna und Willi.

Diesen Brief schicke ich wieder in Westberlin ab, sonst bekommst Du ihn nicht.

 

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