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Brief (Transkript)

Oskar H. aus Meckenheim an Marie Louise P. nach Zittau am 01.09.1968

 

5309 Meckenheim, den 1.9.68.
[Straße und Hausnummer]

Dear Mrs. P.!

In diesen Tagen, da einmal mehr in einer biher wirklich einmalig widerlichen Weise ein feierlich gegebenes Wort gebrochen wurde, um nackter Machtgier und Egoismus willen, ist mir und vielen von uns erst richtig aufgegangen, wie wir seinerzeit bei den verschiedenen Okkupationen Hitlers von der Welt betrachtet worden sind. Wie ist unser Vertrauen zu unserer Führung damals mißbraucht worden. Sie dienen einem schlechten Herrn, sagte damals Mr. P. Wir konnten es nicht verstehen, nicht glauben. Ebensowenig, wie es die jungen Soldaten jetzt in der Tchechei glauben können, daß sie einfach belogen worden sind. So bedrückend das Ganze sein mag, so gefährlich die neue Lage ist, für diese Leher bin ich doch dankbar. Sie schützt mich vor Pharisäertum.
Dennoch: niemals haätte ich gedacht, daß die Tchechen uns und der ganzen Welt ein solches Beispiel von Klugheit und Tapferkeit geben könnten.
Garzugerne würde ich Ihnen einige Zeitungen schicken. Ich wage es nicht. Sie könnten Schwierigkeiten bekommen. Aber die Heuchelei eines … steigt wirklich auf Bäume: Die Abschaffung der Zensur in der Tschechoslovakei beeindruckt mich überhaupt nicht, hat er gesagt, weil wir in der DDR keine Pressezensur haben. Das hätte Göbbels wirklich nicht anders sagen können. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt gemacht wurde, daß die Tschechen und Russen sich in Pressburg und Schwarzau in „brüderlichen“ Beratungen geeinigt hatten, daß Ulbricht noch einmal zu Sonderbesprechungen in Karlsbad war, daß dann am 21.8. die Divisionen der UdSSR, Polens, Ungarns, Bulgariens und der DDR eingerückt sind. Die militärischen Pläne und die praktischen Vorbereitungen liefen also schon, als man noch brüderlich verhandelte. Wirklich mich schaudert vor der Erinnerung an unser Vorgehen damals. Aber dieses stellt alles in den Schatten. Die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer ist ein ähnlicher Vertrauensbruch gewesen. Wer wagt es, mit den Russen noch einen Vertrag zu schliessen? Was soll aus der Welt werden, wenn das nicht mehr geschehen kann? Dieser Planet versinkt doch in Hunger und Elend, wenn es nicht gelingt, die Industrienationen ihrer Aufgabe für die ganze Menschheit bewußt zu machen. Zwischen dem Ural und Kalifornien sitzt doch, unterschiedlich entwickelt zwar, von einigen Splittern ausserhalb dieser Region abgesehen, das Bewußtsein der Erde. Hier wird geforscht, gedacht und konstruiert. Hier sitzt die Hoffnung, alle Menschen ernähren, kleiden und unterbringen zu können.
Wenn die Intelligenz aber dazu mißbraucht wird, sich durch ungeheure Anstrengungen der Rüstung sich grossenteils zu paralysieren, oder gar durch tatsächlichen Waffeneinsatz gegenseitig umzubringen, dann sinkt dieser Erdball, dieses kleine Raumschiff zurück in einen Zustand, wie er vor dem Beginn unserer Geschichte geherrscht haben mag.
Sie dienen einem schlechten Herrn! Mr. P. meinte Hitler. Er hatte Recht. Aber dennoch war es wie ein Symbol. Alle dienen einem schlechten Herrn, weil wir nicht genügend gegen Machtgier, Machtmißbrauch, Egoismus, Rechthaberei und Lieblosigkeit tun. Wir haben nicht viel Zeit. Die Erdbevölkerung wächst so schnell, daß diese Bevölkerungsexplosion uns alle umzuwerfen droht ehe dieses Jahrhundert zu Ende geht. Wenn wir jetzt sofort begännen mit der praktischen Arbeit, so müßte es noch glücken, die Katastrophe zu verhüten. Aber wehr fängt an. Die Russen haben unsere Hoffnungen auf ihre Einsicht wieder vollständig zerschlagen. Dennoch müssen wir von Vorn beginnen, wollen wir nicht dem schlechten Herrn die Herrschaft allein überlassen. Der versucht es ncith nur drüben bei Ihnen. Sudan, Kongo, Nigeria, Guatemala, fast ganz Lateinamerika ist erfüllt vom Geschrei der gequälten Menschen. Aber das Waffengeschäft blüht. Seite an Seite liefern Russland und Großbritannien waffen, um eine Regierung zu befähigen einen grossen Teil ihrer Staatsbürger, seien sie auch unbotmässig, zu töten. Gleichzeitig ziehen sich die Ordnungsmächte aus wichtigen Teilen der Welt zurück und überlassen sie dem Chaos. Alles starrt gebannt auf das unglückliche Vietnam. Fürchterlich wird hier ein Volk für die Torheiten seiner Führerschicht bestraft.
Verzeihen Sie mir bitte diesen trostlosen Brief. Es ist schwer an das Durchsetzungsvermögen der Vernunft zu glauben.
Aber wir wollen es in Gottes Namen dennoch tun.
Grüssen Sie Mr. P. und seien Sie selbst gegrüßt

 

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