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Brief (Transkript)

Hans an Eugen am 19.1.1941 (3.2002.0211)

 

Nordfrankreich, am Meer 19. Januar 1941



Lieber Eugen

Sehr froh bin ich nun über Deinen letzten Brief, den mir ein fabelhafter Unteroffizier aus R. mitbrachte. Es gilt ab sofort nur noch 17247. Auf verschiedene Questiones hier eine preußisch knappe Antwort: Zunächst, was Weihnachten anbetrifft, so ist zwar wörtlich zu nehmen, was ich schrieb. - Allein als ich meinen Korporal danach fragte, sagte er: „Ich habe da nicht weiter drüber nachgedacht - deshalb hatten Sie soviel Dienst.“ Du siehst also, daß ich Vorerwähntes, wenn er ehrlich ist, nicht verbrochwen haben kann oder aber die Schuld bei ihm liegt. Ich muß ihm beinahe glauben, da er sich vorher mir gegenüber immer ausgezeichnet benommen hat. Ich begrabe dieses Fest mit dem undurchlässigsten Lehm und die ganze Chose möge ruhen in Frieden! Amen! - Mit unserer ‘Delokatio’ ist es Scheibenkleister. Notre Maitre hat wohl wieder seinen apokalyptischen Traum gehabt - Du hast Recht, wenn Du mich hier in Ruhe wähnst. Ich bin unruhig über soviel Ruhe und fühle mich wie in einer Nervenheilanstalt - eine Sehnsucht nach Münster hätte ich - entre nous - nur des Domparadieses wegen. Das ist unser ‘Nationalheiligtum’, der Rahm des Münsterlandes. In dem anderen, so ‘freiheitlich’ ich bin oder geworden bin - würde ich lieber verzichten, da mir das Gerede oder das Gefühl allein unausstehlich wäre, dahinein irgendwie zu geraten. Für El Greco hätte ich nach wie vor die größte Vorliebe - die Freude an den Werken so großer Menschen ist doch die einzige, die man kaum trüben kann.- Alles Übrige ohne Weltschmerz ist doch recht fragwürdig und gerade in diesem ‘Stadium’. Heute kann ich nicht gut Enttäuschung vertragen. Ohne greisenhafte Allüren darf ich schreiben, daß mir dieses etwas unruhigere Dasein (nicht weniger Arbeit - aber in ungehetztem Zustand ) sogar körperlich wohltut.-Ah, die Daumiers! Hör! - Den hat Onkel Louis sich mit einem Griff ausgesucht. Mit einer einzigen Ausnahme hättest Du dasselbe tun können. - Ich wußte nur nicht, daß Du heimkommst, sonst hätte ich Dir überhaupt eine Gebrauchsanweisung geschrieben. Auch von den chinesischen Blumenschnitten gehört natürlich einer Dir und wenn es mir von hier aus durch Pietro noch gelingt, folgt bei Gelegenheit eine köstliche französische Miniatur (von etwa von etwa 1400 bis 1450) Allerdings ist das sehr ungewiß, deshalb will ich nur geträumt haben - aber ich hoffe, den Traum zu einem Lebewesen zu machen. Es liegt nur an der Leitung. - Übrigens - durch eine Bemerkung, die Friedel im letzten Brief macht, ist mir eine gewisse Femina noch unsympathischer geworden. Der Herr hat ja auch Ägypten so maßlos geschlagen. Cave! Cave feminam! [...] Geld brauche ich hier grundsätzlich nicht - Hier ist nur Sand und Meer und etliche Häuser. Nach Telgte hatte ich - in einer Vorahnung oder irgendetwas, geschrieben. Auch war Er mir bei der letzten Visitation sehr ‘sympathisch’ oder wie ich das bezeichnen soll. Das Kreuz finde ich, ganz wie Du, ausgezeichnet. Das ist doch das Thema, das uns immer irgendwie begleiten soll. Gertrud schickte mir noch den Coesfelder und Bockelhorster Christus. - Benno wird am 15. Februar eingezogen. Vielleicht ist es noch nötig, meine Mutter zu entschuldigen, daß sie so wenig Zeit bei Deiner Visitation erübrigen konnte. Sie schrieb und andere schrieben mir, daß Vater und Mutter in den Wochen vor dem Feste nie vor 1 bis 2 Uhr zu Bett gekommen sind - und den Kirchgang mit dem Schott bewaffnet (die Seite, wo das Gebet für die Lebenden vorkommt, ist fast nicht nehr da) läßt meine Mutter sich nicht nehmen. Es bleibt also nicht viel Zeit über zum Schlafen , und meine Mutter ist 60 Jahre! Das tat mir Weihnachten am meisten weh, wenn ich an meine Eltern und die wahnsinnige Arbeit, die sie verrichten mußten, dachte. Ich könnte meine Mutter auf Urlaub stundenlang ansehen und Freude an diesem Gesicht haben. Man spürt manchmal doch verdammt, was einem die Mutter ist. - Heute sah ich hier auf dem Markte eine sehr stämmige alte Fischersfrau, so ein richtiger Bernd Nottke-Typ mit einer langen Nase, tiefliegenden Augen, und einer schönen Stirne und diesen Gleichgewichtszug so um den Mund herum. Im Gegensatz zu den anderen Weibern, die laut feilhielten, bot sie ihren silbernen Fisch ganz ruhig und wie eine an, die das Stehen auf dem Markte nicht nötig hat. Hier gibt es sehr viele Fische, ganz große und klitzekleine Dinger. Ich esse auch öfter Fisch, den sie hier sehr gut und mit allen Raffinessen zubereiten, aber man bekommt heftigen Durst (poisson sans boisson est poison, sagt man hier), danach und bald wieder Kohldampf. - Ich habe eine solche Freude an Deiner Federzeichnung des Mannes, der vorhatte, den Drachen zu töten. Sie ist fabelhaft, sicher und gut dahin gesetzt. Man kann sein kapitales Possum oder Nonpossum auf so einem Blättchen ausbreiten. Wie auch in der Melodie teils außerordentlich feiner Kirchenlieder, die du mir schickst, lassen mich gespannt auf das Gedicht Rudolf Alexander Schröders warten, das Du in Aussicht stelltest. - Bauer schrieb mir, er kommt im Februar auf Urlaub, wer weiß - gleichzeitig mit Deinem - Heute Abend haben wir bei Adolf Bordeau getrunken. Ich kann nur immer loben - diesen Wein müßtest Du auch in seiner ‘Urgestalt’ und nicht ungetauftem Zustand kennenlernen. Es war eine köstliche Wohltat, dieser Tropfen! - Wie sehr ich ‘sittlich’ heruntergekommen bin, kannst Du erkennen, wenn ich Dir die Mitteilung mache,(feierlich wie vor Gericht) daß ich sogar ab und zu rauche, - allerdings nur geschenkte Zigaretten. - Heute Nachmittag hat mein ‘Beischläfer’, (au Backe, mein Gaumen), ein französisches Mädchen Christiane mit auf die Bude gebracht. Es war sehr schüchtern und war und ist eine gute Fanzösin. Sie ließ sich aber zeichnen und heute sogar, da ich ihr gut zuredete und meinerseits weniger schüchtern (Amande, ich bin so schüüüüchtern, sagte der Adolf immer) aufgelegt war. Auf eine Stunde und eine halbe Stunde saß sie sehr ruhig, hatte blanke schwarze Augen und ziemlich dunkles Haar. Nun weiß ich, daß sie über unserem Kamin prangen wird, als Hausgöttin ich sie nicht zurückerhalte. Ach die Haare, richtig mit Andacht habe ich daran gesessen. Es ist doch nicht ohne Wichtigkeit, selbst für ein Gesicht, da? diese ‘Bodenbedeckung’ richtig gerät. Ja, die Haare Christianes sind das Schönste an dem Bild. Der Busen war leider nicht stattlich, weshalb ich Christianen in dieser Beziehung etwas geschenkt habe. Sie nahm es mit einem wunderschönen Erröten wahr und schien mit dieser Bereicherung und Bewunderung einverstanden. Was der Himmel versäumte, - ich kann freigebig damit sein, - das sind ja häretische Nachtgefühle! Wirst du auch von Dergleichen heimgesucht? Als Christiane wieder ging, tat sie’s wie mit bösem Gewissen. Sie ist ja Fanzösin – und [...] du village sind gefährlich. Aber unsere Mädchen zu Hause sind doch deftiger. - Wer ein Dichter ist, sollte sie ruhig ab und zu vor den Töchtern Galliens loben. - Ich muß und will mich ernstlich ändern - solche Skripta sind für den Tugendgarten eines prädestinierten Prebyters eine böse Wurzelseuche. - Ich wäre auch längst schon zu Omnipotens gegangen, - aber der Adolf hat mir den französischen Beichtspiegel noch nicht besorgt und hat es mir doch versprochen. Ich muß mich doch wenigstens richtig ausquetschen können. - Mensch, da kann ich parlieren, Deutsch, Latein und Gallisch, - alles durcheinander. (Ecclektiker nennt man sowas, glaube ich.) Die schweren Brocken deutsch, die mittleren latein und die leichten französisch. - Aber ich denke (ein letzter Versuch, mich in eine gute Beleuchtung zu setzen) doch anders von der Beichte. Aber quod scripsi, scripsi. - Das Feuer geht aus! - und werde ich auch nicht melancholisch, so doch kalt, und ich will meinen Brief oder diese Zettel, die Du in den Rachen des zweiten Gesichtes zu dem entsprechenden Gebrauch stecken sollst, doch in der langsam gewordenen Temperatur organisch beschließen. Eine fatale Sache: nous voyons si [?] il n’y a pas sans epins [...] le tout seul quel apercu spirituel. En attendent le plaisir [...] lire [...]
Hans

 

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