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Brief (Transkript)

Kurt Marlow an seine Ehefrau am 19.12.1940 (3.2002.0884)

 

19. Dezember 1940.



Meine über alles geliebte Doris!

Wieder einmal warte ich seit einigen Tagen auf einige Zeilen von Dir. Bis auf einen kurzen Brief und dem Päckchen ist nichts eingetroffen. Gestern erhielt ich von Deiner lieben Schwester Elsa ein Päckchen mit einem Buch. Das Buch ist sehr nett und liest sich tadellos, bitte richte Elsa einen herzlichen Gruß von mir aus.
Die Feiertage sind Gott sei Dank vorübergegangen, wir haben von ihnen nicht sehr viel gemerkt, jetzt haben wir nur noch 2 Feiertage vor uns dann ist auch dieses vorüber. Hier verläuft im großen und ganzen ein Tag wie der voraufgegangene. Gestern mußte im Operationssaal mitarbeiten. Zuerst war wieder ein Blinddarmerkrankter an der Reihe. Der Wurmfortsatz wie es eigentlich richtig heißt war schon ziemlich überreif und komischerweise sehr tief im Leib und kaum zu finden. Außerdem noch mächtig verwachsen, ich hatte die Ehre die Narkose zu geben, es war garnicht so schlimm, der Mann hat ganz ruhig und fest geatmet. Wir geben zuerst immer einen Cloräthylrausch, der Patient schläft daraufhin ganz fix ein, sobald er weg ist wird mit Aether der Betreffende weiter betäubt. Früher arbeitete man nur mit Chloroform, Novokain u.s.w., diese Mittel waren aber nicht absolut sicher, paßte der Narkotiseur nicht ganz genau auf, oder das Herz war zu schwach, so konnte unter Umständen der Patient für immer schlafen. Bei einer Narkose unterscheidet man 3 Stadien und zwar 1. Den Rausch, 2. Erregungszustand, 3. Erschlaffungszustand, dann kommt die sogenannte Narkosenbreite und dann der Tod. Es gibt nun Mittel mit einer sehr geringen Narkosenbreite dieses sind Chloroform und Chloräthyl, und Mittel mit einer sehr breiten Narkosenbreite, dieses ist u. a. Aether das gebräuchlichste. Dann gibt es steuerbare und nicht steuerbare, die 3 oben angeführten sind steuerbar denn im Falle einer Gefahr kann die Maske dem Patienten abgenommen werden und ihm Sauerstoff zugeführt werden. Nicht steuerbar sind Mittel die in Blutadern eingespritzt werden (Evipan, Eunarcon) und die Darmnarkose (Avertin). Sind diese Medikamente im Blutkreislauf um hier ihre Wirkung zu vollziehen und zu stark verabreicht worden so kann bei einer zu schwachen Herztätigkeit der Tod eintreten, da helfen auch nicht die besten Herzmittel (Cardiazol, Coramin). Du siehst man muß als Narkotiseur ganz schön aufpassen, vor allem auf den Puls und den Pupillen, an der Pupillenstellung kann man sehr viel erkennen. Die zweite Operation war eine Fremdkörperbehandlung aus dem Oberschenkel. Einem Schmied war während seiner Arbeit am Amboß ein Stück vom Amboß abgeplatzt und dieses Teil ist ihm tief in das Fleisch eingedrungen, es dauerte nicht sehr lange so war er schon wieder vom Operationstisch herunter. Eine Blinddarmoperation nimmt im Durchschnitt 15 Minuten in Anspruch also es geht ziemlich fix. Wir haben hier einen erstklassigen Chirurgen aus Berlin mit Namen Preußner, er besitzt ein eigenes Sanatorium in Berlin. Hier ist er nur ein Ass.- Arzt, ihm untersteht aber die Chirurgische Abt. Ich holte ihn vor einigen Wochen aus Tarnow, wir haben uns während der Fahr sehr nett unterhalten. Jetzt ist auch zu uns ein Arzt versetzt worden mit dem ich im Westen sehr viel zusammen war. Wir haben nicht schlecht gelacht wir uns auf einmal hier in einem Krankenzimmer gegenüberstanden. Er ist ausgerechnet noch mein Abteilungsarzt, seine Praxis befindet sich in Berlin Niederschönhausen am Bismarckplatz, er kennt auch Nöltges. Der Dr. Peters mit dem ich zusammen in Polen und im Westen war ist schon seid Monaten nach Frankreich versetzt worden, seine Entlassung ist wieder rückgängig gemacht worden, Dr. Pahnke befindet sich in Jüterbog, ich bekam von ihm zum Weihnachtsfest eine Karte. Was ich schon so während des Krieges an Menschen kennengelernt habe ist doll, oft sprechen einem im Kino irgendwelche Landser an, na kennst Du mich nicht mehr von da und dort, ich kann mich oft wirklich nicht besinnen.
Meine liebe Margot jetzt muß ich schließen den Brief soll noch der Fahrer vom Dienst mitnehmen, es grüßt und küßt Dich

Dein Kurt

 

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