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Brief (Transkript)

Hans Simon an seine Eltern am 28.08.1941 (3.2002.1288)

 

28.VIII.41



Liebe Eltern!

Heute ist wieder ein Brief fällig. Ich schreibe bei strömendem Regen unter dem Zelt, das wir über unser Geschütz gespannt haben. Was uns in dieser Stellung fehlt, das ist Lesestoff. Gestern haben wir in unserem Bunker eine großartige Beleuchtung angebracht. Mit Schalter und allem drum und dran. Man richtet es sich so gut ein, wie es geht.
29.VIII.
Das war wieder eine Nacht. Man mag in solchen Nächten nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen. Regen und eiskalter Wind. Ich hätte nicht geglaubt, daß wir so schnell schlechtes Wetter bekommen würden. Wenn ich heute nacht meine Piping nicht gehabt hätte! So lenkt das Rauchen ab. Und dann die Gewißheit. In zwei Stunden sitzt du wieder in deinem warmen Unterstand und kannst alle Viere von dir strecken. Und Decken hast du auch. Wenn wir jetzt im Angriff wären. Wenn das Wetter ein wenig trockner wäre, ist es nicht so schlimm. Ein Kamerad von uns war gestern im Kino, das 40 km hinter der Front ist. Die kamen heute morgen auch mit nassen Klamotten an, denn die Wege sind so schlecht, daß sie die LKWs haben mehr schieben müssen, als daß sie gefahren sind. Ein anderer Kamerad kommt wohl fort, dem ist der Hals schon beinah zu. Angina oder Diphterie, wer weiß. Ich habe mich schön warmgehalten, weil ich meine Anfälligkeit kenne. Und die haben mich ausgelacht, wenn ich als Einziger auch untertags den Mantel umhatte. Hier in der Verteidigungsstellung kann man sich noch warm halten. Heute nacht konnte ich nicht so recht einschlafen, weil ich mir nicht im Klaren war, ob ich Deinen Brief nicht in den Brief von Fiti eingesteckt hatte. Nun habe ich den ganzen Morgen seit 5 Uhr schreiben wollen, aber die Finger wurden nicht warm. So ist es nun in Rußland. Zuerst weiß man nicht wohin vor Hitze und nun freut man sich, wenn die Sonne scheint. Wenn die Nächte mondhell wären, ist das Wachen halb so schlimm. So starrt man in die Dunkelheit und von einigen Sternen sieht man Funken und Lichtstreifen im Gelände. Der Kamerad, der ins Lazarett kommt, ist furchtbar nervös. Anfangs im Feldzug habe ich mich oft über seinen Schneid gewundert. Er war sich aber gar nicht der Gefahr bewußt. Jetzt ist er mit den Nerven schon soweit herunter, daß er schon bei einem Artillerieaufschlag in 10 m Nähe am ganzen Körper fliegt. Zuweilen redet er im Artilleriefeuer irres Zeug vor sich hin. Ich habe schon manchmal Angst, daß er einen Nervenkollaps bekommt. Wie kann man nur dem Mann helfen. Ich habe es schon auf jede mir bekannte und bewährte Weise versucht. Wenn er nun das erlebt hatte, was wir in 3 Feldzügen haben über uns ergehen lassen müssen? Zum Glück kommt er fort. Es ist wohl schwer für einen, dies alles zu überwinden, wenn er nicht die Kraft hat, sich über dies und jenes zu freuen, einmal auf andere Gedanken zu kommen. Gestern abend erzählten wir von zu Haus. Von diesem und jenem, was uns interessiert und freut. Wir hatten die Umgebung um uns vergessen und weilten alle zu Haus. Das muß man oft tun, die Kameraden ablenken, sie von ihren schönsten Erlebnissen erzählen zu lassen, besonders die jungen Soldaten. Man spricht anderen Trost zu, wo dich selbst oft die Gedanken um den Tod nicht loslassen, denn es ist für uns alte Soldaten erst recht nicht leicht, denn wir sehen gerade die Gefahr oft am Deutlichsten. Man schimpft die anderen aus, du siehst Gespenster usw., wo du auch mehr Gefahren witterst.
Halt aus und Du wirst Wunder sehen. Was mich oft maßlos erbittert und wo ich ganz gemein werden kann, wenn der Ersatz, der noch nicht im Feuer lag, mit seinem Mund den Krieg hinten schon gewonnen hat. Es sind die meisten Kameraden von 21, 22 Jahren. Den fahre ich so über den Mund, daß sie in meiner Nähe den Mund halten. Irgendwo kann man dann mit den Nerven nicht mehr. Es ist aber eigenartig, wie gerade beim Ersatz und hinten beim Troß die größten Reden geschwungen werden. (soviel wie die, habe ich in den drei Feldzügen nicht erlebt!!!!) Nun, liebes Muttichen, für heute will ich schließen. Die Sonne ist schon herausgekommen. (Es gab gestern Mittag als Nachtisch eine viertel 1/1 Dose pro Nase mit prima Kirschen!!!!) Ab und zu bekommen wir jetzt Schokolade, meist alle 6 Tage 3 Rippen, zweimal sogar 'ja zwei Tafeln. Nun könnt Ihr schon wieder einen neuen Schreibblock schicken, dieser ist bald zuende. Neben 100 Briefumschlägen im ganzen, kam gestern noch das Päckchen mit 25 Stck an. Vielen Dank. Brauche Feuersteine für Feuerzeug und Treupel.
Herzliche Grüße an alle
Euer Hansi

 

 



Ansicht des Briefes

 

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