Brécy, 30. 12. 1914.

Meine Lieben!
Gestern Abend empfing ich Vati\'s liebe Karte vom 24. Vielen herzlichen Dank dafür! Es war die erste Nachricht aus der Heimat! Und daß Mutti noch so viel Zeit gefunden hat, den herzigen Zweig zu zeichnen! Es ist halt ein Allerweltslutterle, wie es kein zweites mehr gibt. Auf Pudel\'s Geschenk freue ich mich riesig, hoffentlich bekomme ich es bald. - Ich hätte ein Bitte an Dich, liebes Vati: Wenn Du einen Sonderabdruck von Deinem „Soldatenlied“ bekommst, dann schicke mir doch bitte auch einen. Man ist hier für jeden Zeitungsfetzen dankbar, der einem in die Hände kommt. Im übrigen sind wir sehr gut versehen mit allem, was man sich denken kann. Sogar Mausfallen und eine Handwage haben wir. - Über die Kriegslage werden wir gut auf dem Laufenden erhalten durch gedruckte Funksprüche von Köln und Norddeich, die jeden Tag am Hauptmannshaus angeschlagen werden.
Mein persönliches Befinden ist ausgezeichnet. Husten ganz vorbei. Müdigkeit gibts überhaupt nicht mehr. Um 9 geht\'s ins Bett, um 7(!) wird erst wieder geweckt, da kann man 10 Stunden lang schlafen, das genügt wohl. Der Dienst am Tag ist noch nicht übermäßig anstrengend. Nachm. ist Unterricht bei einem furchtbar lustigen Leutnant über unsere Kolonne, über Wache, über Einteilung des Armeekorps u.s.w. Heute Nachm. haben wir Zielübungen mit Karabinern, so lernen wir diese Waffe doch endlich noch kennen, das tut not! Wache habe ich bis jetzt noch nie gehabt, vielleicht bekomme ich bald Nachtwache, d.h. ich muß 2x2 Stunden auf der Aisnebrücke den dortigen Posten „verstärken“, durch den vielen Regen ist das Wasser wieder sehr gestiegen, alle Wiesen sind überschwemmt. Heute haben wir einen prächtigen Ritt nach Olizy und zurück über die Aisnehöhen gemacht es war ganz großartig! Über die steilsten Abhänge ging es hinunter, durch steile Hohlwege, bergauf, bergab, im Schritt u. Trab. Herrlich einfach!
Viele 1000 Grüße Euch allen u. nochmal Prosit Neujahr Euer Euchliebender Wolf.