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Brief (Transkript)

Hans-Joachim S. an seine Frau am 25.06.1942 (3.2002.1214)

 

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Im Osten, den 25.6.42


Mein kleines liebes E.!

Gestern war also wieder der große Tag, an welchem die gute Feldpost wieder eintraf. Solch’ ein Tag ist immer volle Spannung. Frühmorgens geht’s dann schon nach Rschew, Verpflegung, Post und Marketenderware mussten dann empfangen werden. Den ganzen Tag waren wir in Spannung: wieviel Post wird jeder bekommen? Ich war ja sehr skeptisch, denn bei Deiner augenblicklichen starken Beschäftigung konnte ich noch nicht wieder mit Post rechnen. Aber groß war die Überraschung, als 2 Briefe und 1 Postkarte eintrudelten. Dein Brief vom 15.6. und Luftpost vom 19.6. Ich freue mich so sehr über Deine lieben Worte und werde Deine Briefe nun tagelang noch vornehmen und immer wieder Eurer gedenken. Heute war endlich wieder ein schöner Tag, es regnete zwar auch mal zwischendurch, die Mückenplage war auch zu ertragen, aber man konnte sich wenigstens mal draußen aufhalten. Ich ließ die Dorfjugend zusammentrommeln, um dieser mal etwas von deutscher Reinlichkeit und Arbeit zu zeigen. Alle mussten sich erst mal ihrer dicken gesteppten Jacken entledigen, Hemden wurden ausgezogen und dann wurde 3 Std. Mist gekarrt. Anschließend ging es zu einem kleinen Wasser. Alle mussten Hosen ausziehen, Kopf waschen, ich hatte eine Wurzelbürste mitgenommen und den Hintern säubern. Das Theater hättest Du erleben müssen! Mit keinem Tropfen Wasser war die Bande seit Wochen in Berührung gekommen. Na, an diese erste Waschung werden alle zurückdenken. Das war aber nur erst der Anfang. Morgen bekommen alle die Haare geschnitten und dann wird in der Sauna warm gebadet. Abends werden jetzt Stichproben gemacht, ob auch alle mit gewaschenen Füßen ins Bett gehen. Wehe, wenn da einer auffällt, gleichgültig, ob Mann, Frau oder Kind. Dann setzt’s Hiebe! Nur so kann man versuchen, der Thyphusepedemie erfolgreich entgegenzutreten. – Mittags platzte plötzlich die Nachricht herein, dass unser Uffz. sich sofort nach Syschewka in Marsch zu setzen habe, zwecks Teilnahme an einem Kursus. Wir alle waren ziemlich überrascht. Um 17 Uhr brachten wir ihn schon zum Bahnhof und wird jetzt schon in Rschew sein. Als dienstältester Gefreiter übernahm ich hier den Trupp und die Verantwortung. Nun bin ich gespannt, ob man uns noch einen Uffz. schickt, oder ob wir hier 14 Tage allein bleiben. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir hier den Laden alleine schmeißen könnten und ich könnte beweisen, dass ich auf einem solchen Posten schon einsatzfähig bin. Na, abwarten! ich fühle von Tag zu Tag mehr das Bedürfnis, mich hundertprozentiger denn je einsetzen zu müssen. Ich gebrauche eine Verantwortung und wünsche mir den Tag, wo ich eine übertragen bekomme. Gerade jetzt, wo wieder 3 junge Leute bei uns sind, da sieht man, wie flau und uninteressiert die Jungens sind. Teilweise geht es ihnen bedeutend besser als im Frieden, trotzdem ewige Meuterer. Solchen Leuten ein Vorbild zu sein, sie zu erziehen, könnte mir auch Freude bereiten und Lebensinhalt sein. Man muss erst einmal den ewigen inneren Oppositionsgeist überwunden haben, dann wird das Leben bei Preußens bedeutend erträglicher. Ich habe mich jetzt voll und ganz damit abgefunden, dass ich Soldat sein muss. Das Zeitgeschehen verlangt es – und jeder verantwortungsbewusste Soldat wird dies einsehen. Natürlich würde ich lieber bei Dir, mein Herzel, sein! Alles würde ich dafür hingeben. Aber es kann nicht sein und es wird sogar so sein, dass wir uns noch lange gedulden müssen, bis für mich mal eine Fahrkarte Richtung Heimat bereit liegt. Dafür werde ich aber später mal stolz sein können, dass ich wirklich einsatzmäßig am Russlandkrieg beteiligt war. Wahre Soldatenarbeit habe ich nun in den letzten Wochen kennen gelernt und schätze diese mehr als ein Leben als Qualle beim Stab. Jetzt wird nur gearbeitet, nicht gefeiert, nicht getrunken, darum gibt’s aber doch einen fröhlichen Feierabend. Gestern sprach ich noch mit Paul F. in Syschewka. R. ist wirklich weg und man genießt dort in vollen Zügen die Freiheit. Im Moment wurde mir zwar auch ganz weh ums Herz – aber nur für einen Augenblick, dann siegte doch wieder das freudige Gefühl über wirkliche Arbeit, die mir innere Zufriedenheit gibt. Helmuth ist immer noch in Witebsk, führt dort das Leben eines Großstädters, mit Kino, Soldatenheim u. Theater. Na, auch das wird mal ein Ende nehmen. Störungstechnisch haben wir 24 Std. sehr ruhig gelebt, unberufen toi, toi, toi. In dieser Freizeit schaffe ich mir gleich andre Arbeit, die, die ich Dir vorhin beschrieb mit unseren Russen – oder auch Arbeit mit unserem kleinen 4-jährigen Jungen. Seine Eltern wurden erschossen, weil sie deutsche Soldaten versteckten. Ihn haben wir zu uns genommen und ernähren ihn mit. Ein lieber aufgeweckter Bengel, der schon viele deutsche Worte beherrscht. Ihm versuche ihm gute Manieren beizubringen, anständig Essen und Sauberkeit. Ich habe bei dem kleinen Mann Erfolg – er macht uns allen viel Spaß. So leben wir in dieser Einöde, ohne Radio, ohne Licht, so erleben wir Russland in seinen tiefsten Tiefen. Nur das stählerne Eisenbahnband erzählt uns, dass die ungeheuren Transporte, die darüber hinweg gehen, uns bald aus unserem Dornröschenschlaf heraus rütteln werden und neue große Erfolge sich anbahnen. Hoffentlich ist die Regenzeit nun endgültig vorbei, und damit die Straßen wieder besser werden.
Freitag, den 26. 6. 1942
Wieder sind 24 Std. vergangen! Es wird Abend und der Brief an mein kleines Herzel soll fertig werden, damit er morgen mit nach Rschew kann. heute früh um 8 Uhr trat wieder meine Dorfjugend pünktlich an. Sie alle waren ziemlich kleinlaut, sollten doch ihre längeren oder kürzeren Schöpfe fallen, diese Brutherde. 15 Jungens wurden die Haare geschnitten – 1 mm unter (?) Haut! Dann wurde Arbeitsdienst gemacht und um ½ 12 Uhr ging’s wieder ins Wasser. Es macht ihnen jetzt schon so viel Freude, dass sie nachmittags nach dem Arbeitsdienst wieder nach einem Bade verlangten. Für uns gab’s nachmittags nicht viel Ruhe. Von ½ 13 Uhr bis 17 Uhr waren wir auf Störungssuche, in Gluthitze. 10 km wurden getippelt. Es reichte mir für heute. Außerdem hatten wir noch Pech! Wir gehen auf solchen Gängen immer ausgerüstet mit Maschinenpistole. Ausgerechnet heute nahmen wir keine mit – und heute – ausgerechnet heute – saß 25 m entfernt ein Häschen und wartete darauf, abgeschossen zu werden. Na, wir hatten eine Wut und werden in Zukunft nie mehr ohne Schießprügel ausgehen! – Lt. Wehlack ist nun auch schon wieder zurück und bat gestern um meinen Anruf. Ich werde dies abends noch tun und mir drahtlich Deine Grüße von ihm abholen.
Nun geht wieder dies Briefchen ab , mit tausend lieben Gedanken an Dich angefüllt. Viele liebe Küsschen sind auch für Dich und Klaus dabei. Weit, weit ist der Weg zu Dir ins Heimatland – von Okorokowo – Bahnstation ist Mantschulowa – bis zu Dir!
In innigster Liebe!
Dein Hansi!

Dies beifolgende Brausepulver ist prima, Heintel wohnt Chausseestr. 46 od. 47. War mein Kunde als Blockwalter. Vielleicht kannst Du in jedem Brief 2 Stck. mitschicken. Vergiss nicht Zahnpasta! Jetzt habe ich das Papier verloren: es heißt Clio Brausepulver, Hersteller Karl Heintel.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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