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Brief (Transkript)

Hans-Joachim S. an seine Frau am 21.06.1942 (3.2002.1214)

 

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den 21. Juni 1942



Mein liebes kleines E.!

Wieder ist nun eine Woche vorbei, eine ereignisreiche Woche, die mich wieder an einen neuen Kameradenkreis führte. Aber auch arbeitsreich waren die letzten Tage und wurden durch das schlechte Wetter noch erschwert. Donnerstag fing schon das Mistwetter an, als wir (ein Kamerad und ich) uns frühmorgens auf den Weg nach Rschew mit einem Zweispänner machten. Verpflegung, Gerät und Post mussten empfangen werden! Also es goss in Strömen. Wir hatten zwar unsere Zeltplane um - aber es gibt doch immer Luken, durch die der Regen mit der Zeit durchkommt. Na, und in 3 ½ Std. Zuckeltrab kann schon eine ganze Menge durchkommen. Wir kamen auch schließlich, bis unter die Haut aufgeweicht, mittags dort an. Das wichtigste ist bei solch’ einer Fahrt natürlich der Postempfang. Und es war, das schrieb ich Dir ja schon gestern, ja sehr kläglich. 1 Briefchen! Schlechtes Wetter, wenig Post, schlechte Stimmung! Klar, ja? Meine Komp. stand noch völlig unter dem Eindruck der Beschießung, die am Tage zuvor 1 Stunde lang über R. erfolgte. Die Russen funkten anständig rein – ohne aber nennenswerten Schaden anzurichten. Gottlob hörte aber mittags der Regen auf, so dass wir alle ohne Regenbegleitung wieder langsam zurück zuckeln konnten. Jetzt dauerte es sogar über 4 Std.! Solch eine Pferdejockelei ist eine Nervenmassage besonderer Art! Aber es regnete wenigstens nicht! Die zu Hause gebliebenen Kameraden hatten auch ihre Freude: Fast den ganzen Tag auf Störungssuche! So war jeder bedient. Abends wurde dann noch schwer und ausdauernd gefuttert. Leider wird nun der Aufenthalt durch die ungeheure Ungezieferplage stark getrübt. Wir leben hier in einem Sumpfgebiet – überall Wasser, auf den Wiesen, in den Wäldern, neben der Eisenbahnstrecke, an den Straßen – überall Sümpfe. Ununterbrochen ist man in Bewegung, um dieser Stechfliegen Herr zu werden. Aber nicht etwa nur am Tage, sondern vor allem auch in der Nacht! Ein Schlaf ist überhaupt nur unter Wolldecken möglich! Dann gibt’s aber zusätzliche Haustiere: Wanzen in Unmengen! Die Nachtjagd ergab jedes Mal eine Beute von ca. 10 – 12 Stck. Vor allem fand ich nie vor 2 Uhr morgens Schlaf, also erst als es wieder hell wurde. Diese Nächte hatten mich ziemlich mürbe gemacht, zumal tagsüber genügend Arbeit war. Jetzt habe ich mir nun aus meiner Riesenwolldecke einen Sack genäht, oben, unten, seitlich zu. In diesen krieche ich nun hinein – und liege wie im Mutterleib. Keine Mücke, keine Wanze störte mich in der letzten Nacht. Außerdem hatte ich meinen Schlafwinkel mit Desinfektionsmitteln auswaschen lassen, mit Wanzenpuder bestreut, usw. Nachmittags hatten wir unsere Sauna in Betrieb gesetzt und dann gab’s große Baderei. Es war ein Genuss, dann in saubere Wäsche schlüpfen zu können! Über diese kleinen Genüsse freuen wir uns. Wenn dann noch nach 18 – 19 Uhr keine Störungsmeldung kommt, - dann beginnt fröhlicher Heim- und Feierabend. Heute gießt’s nun wieder ununterbrochen, die Straßen sind alle wieder grundlos geworden. Zum Glück interessiert uns nur der Bahndamm, auf welchem wir gehen oder reiten. Die Stangen selbst aber, die seitlich entlang gehen, stehen regelmäßig schon im Wasser. Eben kam wieder Störungsmeldung. 2 Kameraden müssen auf Pferden raus, es ist schon 19 Uhr. Der Sturm heult, der Regen peitscht gegen die Scheiben. Ich habe heute Glück - bin erst morgen wieder an der Reihe. Jeder Dienst ist genau eingeteilt; so leben wir auf unserem einsamen Posten ein stilles und auch fröhliches Leben. Der Uffz. ist in Ordnung, der Küchengeorg ebenfalls. Außerdem ist noch ein älterer biederer Eisenhändler aus Wriezen dabei, der eine Seele von Mensch ist. Ihn kann nichts aus der Ruhe bringen. Er spielt auch den Ortsgendarm (bei 8 Häusern! sehr wichtig!), macht mehrmals täglich mit einem Stock seine Runde. Jung und Alt hat vor ihm Respekt und befolgt genauestens seine Anweisungen. Die Bevölkerung muss Aufräumungsarbeiten leisten, ihre Felder bewirtschaften, Tote bestatten, ihre eigenen Häuser wieder ausbessern. Alles wird von uns kontrolliert. Wenn nichts klappt, gibt’s Hiebe. So geht jeder Tag schnell herum. Schade nur, dass hier, wo wir „die Herren“ sind, da weit und breit kein anderer Soldat liegt, die Gegend vollkommen ausgesaugt ist. Nicht ein Ei, keine Kartoffel, nichts. Die Armut ist unbeschreiblich. Die Bevölkerung musste im vorigen Jahr auf Befehl Stalins die Kartoffeln in der Erde lassen, damit diese im Winter erfrieren sollten. Jetzt buddelt man das erfrorene, weiche, stinkende schwarze Zeug aus, frisst es auf. Tote Pferdekadaver sind Delikatesse (für die Russen). Die Folge ist nur, dass ein Dorfbewohner nach dem anderen erkrankt. Überall Typhus! Kein Mensch kann ihnen helfen. Man isoliert sie so gut es geht und hofft, dass sie bald sterben werden. Das Elend ist grauenvoll! Undenkbar was nun erst im nächsten Winter, bzw. im nächsten Frühjahr los sein wird. Sicher wird eine große Seuche ausbrechen, der Rest wird verhungern. In den rückwärtigen Gebieten wird es zwar anders sein – dort beginnt ja schon z.T. der Aufbau. Aber hier, direkt an der Front, wo ein Dorf 2 – 3 Mal die deutsche bzw. die russ. Besatzung wechselte, Partisanen plünderten, hier ist nichts mehr zu organisieren, auch nicht für Tabak und Schnaps. Wir kommen so „gerade“ mit unserer Verpflegung durch und schieben ruhig auch ab und zu einmal „Karo ohne“ ein. Die guten Tage vom Stab sind endgültig vorüber und kommen nicht wieder. Auch Sekt fließt nicht mehr! Trotzdem bin ich noch immer davon überzeugt, dass mein Schritt richtig war und ich ihn nicht bereuen werde. Da auch das nächste Jahr für mich ohne Urlaub sein wird – kann ich mich auf meine Arbeit konzentrieren – und vielleicht wird’s mal klappen. Ich studiere jedenfalls fleißig den Reibert und versuche auch jede praktische Arbeit kennen zu lernen. Leider sind natürlich für mich die versch. Vorgesetzten für einen Neuling in der Kompanie schwer zu nehmende Hindernisse. Alle haben ihre bevorzugten Leute und ebnen in erster Linie diesen den Weg.
Montag d. 22.6.42.
Heute vor einem Jahr begann morgens dieser große Krieg. Vor einem Jahr war ein herrlicher Sommermorgen als unsere Geschütze zum 1. Mal ihre Geschosse hinüber schickten. Heute Nacht begann auch wieder eine dolle Schiesserei, 2 Stunden lang. R. lag wieder unter Russenfeuer! Dabei goss es unaufhörlich. Unsere 2 Mann kamen erst um ½ 23 Uhr vollkommen durchnässt zurück und hatten die Schnauze reichlich voll. Vergangene Nacht schlief ich wieder herrlich bis heute früh 8 Uhr. Ich nahm noch eine weitere Wolldecke in den Sack hinein und schlief ungestört. Meine Maßnahme hat sich doch als gut erwiesen. Jetzt warten wir alle hungrig auf das Mittagessen! Graupensuppe, Makkaroni mit Braten und Sauerkohl. Eine etwas komische Zusammenstellung aber es schmeckt großartig. Alle Augenblicke fragt nun ein Kamerad, wann endlich das Essen fertig ist; man will unseren guten Schmor nervös machen. Aber er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Draußen gießt es unentwegt weiter! Dieses Abwarten wird wieder zu einer ordentlichen Nervenprobe! – Sonnabend fuhr ein Kamerad noch nach R. um Frischfleisch und Post zu holen. Obwohl ich nicht viel Hoffnung hatte, kam ein Briefchen mit, rosarot vom 11.6. Ich freue mich nun doch wieder, dass Du schon am übernächsten Tag wieder schriebst. Ich bedaure Dich ja, dass Du nun so viel Arbeit hast, ich kann natürlich von hier aus nicht beurteilen, ob Du Dich nun unbedingt so aufopfern musst. – 5 Std. später! Inzwischen hat’s gut geschmeckt, wir sind genudelt voll. Heute scheint’s wirklich mal ein ruhiger Tag zu werden. Doch man soll den Abend nicht vor dem Morgen loben! Ein Mittagsschläfchen konnte sogar eingelegt werden. Vor 2 Std. rief aus R. auch ein Gefr. Bahr an, der Ziehmann anrief und darauf hin auch Dich. Er bestellte mir Deine Grüße und ließ mich wissen, dass Du und Klaus alle wohlauf seid. Es wird einem immer wieder weh um’s Herz, wenn man Kameraden aus der Heimat kommen sieht, bzw. die, die in die Heimat fahren. Bahr soll ein netter Kerl sein, Studienrat, hoch intelligent, konnte trotzdem bei Preußens nichts werden und wurde als O.A. abgelehnt. Es ist manchmal seltsam, warum mancher Soldat nicht vorwärts kommen kann und bei seinen Vorgesetzten auf Widerstand stößt. – Nun mein Herzel, weiter zu Deinem Brief. Ich bin ja so beruhigt, dass Gertrud wieder in Erscheinung getreten ist und auch Essbares mitgebracht hat. Es muss ja wirklich für eine Hausfrau nicht leicht sein, ihre Lieben täglich satt zu machen. Haltet nur Gertrud, wenn ab und zu ein Päckchen kommt, hilft’s doch immer schon wieder weiter. – Von Wolfgang bekam ich auch einen netten Brief. Ich bedaure auch, dass er sich nicht entschließen kann, Offizier zu werden. Er wird bestimmt noch lange Soldat sein müssen und könnte sich auf diese Weise doch sein Soldatenleben leichter gestalten. Ich schrieb ihm auch in dieser Hinsicht. Vielleicht klappt’s aber auch mal mit seinem Studienurlaub. – Nun will ich diesen Brief abschließen – vielleicht geht er morgen, bestimmt aber Mittwoch weg, wenn wir zum Verpflegungsempfang fahren. Wenn in den nächsten Tagen sich das Wetter bessern sollte, werde ich hier von unserer einsamen Insel einige Aufnahmen machen. Dann kannst Du Dir ein kleines Bild von dieser Einöde machen. – Major R. wird ja nun auch westwärts rollen. Ich bin neugierig, ob Du, bzw. R. sich melden werden. Wenn Frau R. die Aufrechterhaltung der Verbindung aus „süßen“ Gründen für ratsam hält, so wollen wir es gleichfalls aus egoistischen Gründen tun. Vielleicht kann er mir doch noch einmal behilflich sein!
Mein Liebes, dieser Brief gilt nun mindestens für drei. Vor nächster Woche geht auch keine Post wieder weg. Aber nicht traurig sein, es ist eben nicht abzuändern. Hauptsache, Du behältst mich immer recht lieb und denkst oft an mich und vergisst nicht das Schreiben. – Tausend liebe Grüße und Küsse aus unendlicher Ferne,
Dein Manile

Vergiss nicht regelmäßig „weiches“ Papier beizulegen!

 

 



Ansicht des Briefes

 

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