A. L. den 8. Juni 1916

Meine liebe Hedwig!
Heute abend um 6 erhielt ich Deinen Brief, der am 7. 7-8 . erst abgestempelt war. Es geht mir genau so wie Dir. Wir wollen aber doch hoffen, daß die Schläge, die England jetzt erhalten hat, uns dem Ende näher bringen. Die Ansichten sind so verschieden. Eine deutsche Zeitung meinte das Gegenteil. Heute las ich im Bevno[?] Bund wieder eine Betrachtung Stegemanns.
Er hält Vans[?], dessen Fall er noch nicht kannte, für sehr wichtig. Danach kann man jetzt dort wieder Fortschritte erwarten, nachdem Vans[?] gefallen ist. Die Schlacht bei Verdun wird die längste Zeit gedauert haben. Schade, daß die Östereicher soviel Verluste gegen die Russen – nach deren Angaben – gehabt haben. Gespannt kann man sein, wie es mit Griechenland wird. Die sind in einer sehr üblen Lage. Wo man hinsieht, alles scheint darauf hinzudeuten, daß ein Ende noch nicht so bald zu erwarten ist. Aber trotzdem, wollen wir hoffen.
Hoffnung und Erinnerung, das ist der Trost für mich in meiner Einsamkeit. Was gingen die Tage in Essen schnell dahin. Und hier. Es ist fürchterlich. Gut, daß bald die Tage wieder kürzer werden. Bei der langen Tageshelle hat man immer das Gefühl, als wenn die Zeit noch langsamer verginge.
In den Zeitungen lese ich, daß nach Pfingsten eine Bestandsaufnahme der Vorräte in den Haushaltungen sein soll. Sondere das für mich bestimmte Quantum Würste ab. Es gehört nicht zu Deinen Beständen. - für die nächsten 8 Wochen soll eine Besserung in der Fleischversorgung nicht zu erwarten sein. Es ist ein Jammer. Hoffentlich bekommst Du jetzt Deinen Fleischanteil jede Woche.
Für die Kinder giebt es doch auch 200g, das wären also für Euch 800g. -
Glückliche Kinder, daß sie nichts von den Sorgen der Eltern wissen. Es freut mich, daß das Kleine am Dienstag ruhig geblieben ist. Ich denke, sie wird sich in einigen Tagen ganz an Anna gewöhnt haben. Hoffentlich bist Du mit letzterer weiterhin zufrieden.
Dir und den Kindern herzliche Grüße u. Küsse
Dein Julius