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Brief (Transkript)

Friedrich Spemann an seine Mutter am 25.10.1918 (3.2002.9143)

 

M. 25.10.18.



Mein liebes Mutterle!
Seit heut früh hab ich meinen Koffer und sitze nun in einer sauberen Uniform u. frischer Wäsche in meinem Quartier mit der edeln Absicht, meine Briefschulden abzutragen. Heut kam die erste Post von Euch hierher, mein Telegramm habt Ihr hoffentlich auch, also ist die Verbindung einmal wieder hergestellt.
Weißt Du, wie dieses Wiederaufleben ist – das läßt sich gar nicht beschreiben. Schon die Bahnfahrt durch wunderbar leuchtendes Waldgebiet – überall Leute, die ihrer Arbeit nachgingen – Kinder die Ringelreihen tanzen, säende Bauern – Hans u. ich saßen zusammen auf unserem Güterwagen, u. wir wußten oft nicht, wohin zuerst sehen, soviel gabs zu stauen zu freuen u. zu genießen. Man ist so Augenblicksmensch geworden – an die Vergangenheit denkt man jetzt gar nicht – an die Zukunft wenig, unerfreulich ist – aber in der Gegenwart steckt man drin bis über die Ohren. - Hier in Metz giebts noch Alles – für ein tolles Geld, aber man bekommt es. Gott sei Dank ist jetzt ein Kasino aufgemacht, wo man verpflichtet ist zu essen, so kommt man nicht in Versuchung in die Stadt zu gehen, oder doch nur abends. Das geht dann selten unter 20 M. ab, ohne daß man besonders extravagant lebt dabei. -
Nach der letzten Rede des Prinzen Max hab ich wieder etwas aufgeatmet – man konnte ja vorher meinen – es sei alles ganz umsonst gewesen, die ganzen Opfer, die wir jetzt auch wieder gebracht haben. Die Amerikaner haben allerdings
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auch ganz tolle Verluste gehabt – ich hätte nie etwas derartiges für möglich gehalten. Daß Deutschland sich rasch erholt, wenn ihm nicht seine gesamten Lebensnerven zerschnitten werden, darüber zweifle ich nicht u. daß das erste nicht geschieht, dafür müssen wir eben in Gottes Namen noch kämpfen u. Deutschland verteidigen.
Ulis Bildle sind ganz goldig. Morgen will ich ein Kuvert kaufen u. sie ihm mit einem Brief zurückschicken.
Warum ich die wasserdichte Weste zurückgeschickt hab? Weil sie ihren Zweck nicht erfüllt u. weil man sie doch im notwendigen Augenblick nie da hat. Ich will noch warten, bis der Urlaub „aufgeht“. Wenn ich dann hier abkommen kann, nehme ich die wollene selber mit, wenn nicht, schreibe ich noch.
Heute mittag war ich bei meiner Hauswirtin zum Kaffee, weil sie Kuchen gebacken hat am Sonntag hat sie mich zum Essen eingeladen, wozu ich natürlich nicht nein sagen konnte u. es auch nicht wollte, denn eine deutsche Hausfrau kocht halt doch noch anders als ein Feldgrauer. - Hans Schiedt klagte mir vorhin sein Leid – er hat immer noch sein 4 Wochen getragenes „Offensivhemd“ an – sein Koffer war nicht wasserdicht u. seine ganze übrige Wäsche ist deshalb verschimmelt u. voll Flecken. Jetzt ist er heut von einem Bekleidungsamt zum anderen gesaust u. war in so u. so vielen Läden, wo er überall sein Leid klagte u. damit natürlich allgemeines Entsetzen erregte. Er behauptet, „ein
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Ladenmädel hätte ihm vor Rührung beinah ihr eigenes gegeben.“ Na – das Ende vom Lied war, daß er außer einem um 32 M. keines bekommen konnte; da zog er doch vor, sich von mir eines zu pumpen mit dem Ausspruch, morgen werde er mit dem geladenen Revolver aufs Bekleidungsamt zielen um dort „ein Hemd oder das Leben zu fordern. Gottvoll, gelt?
Jetzt gut Nacht, Mutterle!
Einen Kuß Dein
tr. Fritz.
Dorle kannst Du einen Gruß sagen von mir. Sie hat mich die ganze Zeit schmählich im Stich gelassen mit Briefen.

 

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