Brief (Transkript)

Heinrich Begemann an seine Eltern am 13.12.1870 (3.2013.3340.15)

 

Zwischen Varangueville u.[nd] Nancy.
13. 12. [18]70


Liebe Eltern !

Obwohl das Schreiben unterwegs sehr schlecht
geht, will ich nochemal versuchen, da ich sonst
keine Gelegenheit dazu habe. Die gestrige
Fahrt von Neustadt a.[n] d.[er] Ha[a]rdt bis nach Saar=
burg war ziemlich langweilig, da die Ge=
gend abgesehen von der Pfalz sehr öde war,
sodaß wir uns die Zeit oft durch Karten=
spielen vertreiben mußten. In Landau
bekamen wir unseren Morgenkaffe, der
freilich nicht gut, aber doch besser als der
in Köln war. Zu sehen war auf der
ganzen Tour sehr wenig. Als wir über
die Grenze einfuhrer, riefen wir aus vol=
lem Halse Hurrah u. sangen dann Deutschland,
Deutschland über Alles etc, was wir an jedem
Bahnhof ungefähr wiederho[l]ten. Saarburg
war uns schon am Morgen als das Ziel
unserer Tagereise angekündigt worden,
dort sollten wir unser Dinner einneh=
men. Aber erst um halb 10 Uhr kamen wir
dort [an]. Wir machten uns zum Aussteigen
fertig. Doch blos die Unterofficiere wur=
den herausgerufen u. instruirt (eingewiesen), da=
mit bei der Speisung der 1800 Mann nicht
wieder solche Unordnungen vorkämen

wie an den vorigen beiden Tagen. Erst
als wir wenigstens schon wieder etwas
geduselt (Halbschlaf) hatten, ertönte das Kom=
mando. 56er (7. Westfälisches Infanterie-Regiment Nr. 56) aussteigen,
doch die Mahl=
zeit fiel recht schäbig aus. Die warme
Suppe war schon auf, ebenso der Kaffe,
sodaß ich mit meinen Tischgenossen
nur ein Stück kalten Speck u. ein Stück
Brod bekam. Man muß eben Allem die
fidele Seite abgewinnen und so lachten
wir als wir naßgeregnet – denn das Frost[=]
wetter war plötzlich in Regenwetter
umgeschlagen – wieder in unseren
Wagen einstiegen. Wir versuchten
noch in der Stadt Wein zu bekommen
suchten, schlug auch das fehl. Wein
trinken wir sonst jetzt ausschließlich. Er
ist sehr billig und doch gut. So setzten
wir uns dann wieder, um zu schlafen.
Rings um unsern langen Zug wa=
ren Posten, sodaß wir jedenfalls
sicher ruhen konnten. Doch schon um
halb 5 Uhr diesen Morgen wurden wir
durch die Reveille (Weckruf) geweckt, die von allen
Hornisten zusammen getutet wurden,
was sehr schön geklungen haben soll

Ich habe freilich nicht gehört; denn ich
mußte erst durch einen Kameraden ge[=]
weckt werden, der mein Kochgeschirr ver=
langte. Es war befohlen, 4 Mann aus jedem
Coupe (Abteil) zum Caffeholen zu schicken. Ich dachte,
Na, diesmal wirds ordentlich was geben.
Aber gleich darauf hieß [es], 2 Mann seien ge=
nug und als diese wieder kamen, brachten
sie nur sehr wenig mit, aber desto mehr
Brod. Das haben wir dann in Varangueville
bei einigen Pullen Wein verzehrt.
Inzwischen sind wir durch Nancy gekom=
men, eine wunderhübsche Stadt. Das Wetter
ist jetzt sehr mild, auch liegt hier wenig Schnee.
Bis Saarburg war es sehr kalt, doch saßen
in unserem Coupe immer sehr warm,
da wir so dick angezogen sind, dazu Geß u,
Duncker noch Pferdedecken haben. In Nancy
machten sehr viele Frauen, auch
Männer, die vor der Thür standen, während
wir unter fortwährendem Hurrah durch=
fuhren und überall deutsche Soldaten mit
donnernden Hochs begrüßten, das Zeichen
des Halsabschneidens, was mir freilich
wenig imponirte. Die Gegend hinter
Nancy ist wieder sehr schön. Die Ufer der Mo=

sel sind freilich nicht zu vergleichen mit
denen des Rhein, aber stellenweise sehr
lieblich, nicht großartig. Soeben an ei=
ner Burg (Liverdun?) (nordwestlich von Nancy) vorbei fahren, die
sehr hübsch liegt. Wir fahren jetzt auf
Troyes (zwischen Nancy und Paris).
In Toul (westlich von Nancy) angekommen u. Brief auf[=]
gegeben. Viele Grüße
Euer
Heinrich

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top