Brief (Transkript)

J. Philipp Müller an seine Mutter Valentine Müller am 28.7.1794 (3.2015.281)

 

au Bivac Pren de Tongern le 10 —
Le 10 Thermithor 2me année Republicaine
(den 10. im Hitzemonat des 2. Jahres der Republik)

Liebste Mutter !

Nicht eher, als bis ich beym Bataillon bin, sagte ich Euch,
liebste Mutter, wird ich Euch schreiben, den 3ten dieses Monaths
verließ ich endlich einmal das Spital und kam nach Mons,
eine ziemlich artige Stadt, etwas kleiner, als Straßburg,d~[en] 1ten
ging ich von da weg, über Soignies nach Braine le Compte,
beides 2 kleine, aber offne Städgen, etwa sogros als als Bergzabern,
von da den 5ten nach Halle, auch wieder nach ein offnes Städgen,
nicht viel größer als beide obige, d~ 6ten kam ich nach Brüssel,
Diß ist eine schöne Stadt, sie dünckt mich etwas gröser noch,
als Straßburg; besonders herrlich ist das Schloß des Guverneurs
der Niederlande, so wie überhaupt alle Gebäude hin zum
Parc, wie man es nennt, gehören; mit den Lust=Alléen
nehmen sie wenigstens einen Plaz, wie auch so groß als Weißenb.[urg]
Die Assignaten gehen hier ziemlich gut, besser noch als in unserm
Land. D~ 7ten kam ich nach Löwen eine noch etwas größere

Stadt als Brüssel, aber bey weitem nicht so Volckreich als sie, d~ 8ten
kam ich nach Tirllemont, eine Stadt etwa so gros als
Weissenburg, aber nicht so lebhaft, d~ 9ten ging ich nach
St. Trond. I Die ganze Reise macht ich mit einem Capitaine (Hauptmann)

und einem Lieutenant meines Bataillons, wir nahmen hier
miteinander die Post (Postkutsche) und fuhren noch bis Tongern, dann von
Brüssel aus marschirte im̅er das Bataillon eine Tagreise vor
uns her. In Tongern sagte uns der General wo wir das Bataillon
antreffen würden, wir sind etwa eine Stunde von der Stadt; nächstens,
vielleicht morgen schon, nach werden wir gegen Mastricht marschieren
wir sind nicht einmal mehr 4 Stund davon; ich wird Euch allso
vielleicht nächstens Neuigkeiten von daaus melden. Bisjezo
kann ich Euch nicht viel Neuigkeiten melden, als zu repetiren (wiederholen)
re daß sich die Feinde im̅er zurück ziehen; in Lüttig, das 4 Stund von
hier ist sind unsre Trupp~[en] auch, gernwill ich sehen, wo sie einmal
Halt machen werden. Bey Euch hat es auch Neuigkeiten gegeben,
es wird meinem Bruder doch nichts wiedriges zugestossen seyn,
Gott mög ihn erhalten, ich erwarte Neuigkeiten von ihm. —
Ganz wohl ist mir seit ich mich wieder beym Bataillon befinde, —
erst gestern kam ich dabey an, - unsre Beschäftigung, wenn wir
nichts zu thun haben besteht im Kochen, denn ohngeachtet das
rauben und plündern aufs stengste verboten ist, und auch
sehr streng bestraft wird, so holt man doch im̅er Krundbieren
(Grundbirnen, Kartoffeln),
gelbe Rüben und dergleichen, wenn der General schon auch zu Zeiten
sieht, und kocht, — — — d~ 11ten Gestern glaubte man
Heute würden wir Mastricht sehen, allein wir kön̅en
nicht hier weg. Es ist ein rechtes Vergnügen hier zu seyn, wir
sind 9 Bataillone in einer Linie, alles ist Lust und Freude
Morgens gegen 3 Uhr müssen wir unters Gewehr (antreten),
marschiren wir als dann fort, so müssen wir exerciren

und so bald dieses vorbey ist so geht das Kochen an, die Marmite
(Kochkessel)
ko̅mt nie vom Feuer, wie eine leer gegessen ist, wird die andere
übergehängt. Die reine Lust und das Vergnügen machen mich täglich
noch gesünder, wäre ich im gegentheil im Spital geblieben,
so würd ich wieder kränker worden seyn. Während ich im
Spital war wurde unser Bataillon Malcauiert (aufgelöst?), oder mit andern
vermischt, unser Bataillon, das 47te Regiment und das 1te Bat:[aillon]
Seine et Marne wurden Compagnien weis untereinander

gemischt; wir nenn ich bin nun in der 2ten Compagn des 1ten Bat: der 93ten Halb
Brigade, wenn Ihr dafür in Zukunft an mich schreibt so macht
unten beygefügte Addresse. D~ 13´eurtia (?) Ich hielt den Brief
noch zurück, denn ich glaubte Euch Neuigkeiten schreiben zu
können, ich weis aber bis b wirklich kein Wort mehr als
Vorgestern. Man hört von Zeit zu Zeit die Canonen
donnern man sagt es sey zu Lüttig. Die Bauern aus dieser
Gegend sollen unsern Leuten 400 Gefangene nebst 2.
Canonen in die Händ geliffert haben; deswegen sollen
die Osterreicher nur die Stadt sehen in Brand zu stecken
wircklich soll in Vorstadt schon Brand seyn. Vor Ob dieses
alles wahr ist weis ich nicht, ich gib es als eine Sage.
Ich umarme Euch alle und bin mit kindlicher Liebe
ff: Böll läßt Euch alle grüssen so wie
auch den Valentin u[nd] Thomas Esser
ist ja zu Haus? Was strengt
denn dieser Neues aus?

Euer Sohn

J: Philipp Müller

 

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